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Der Turm

Der Turm

Titel: Der Turm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Uwe Tellkamp
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stellen, mit erhobenen Händen, und wurde durchsucht.
    »Hose runter. Beine breit.« Der Uniformierte leuchtete ihm in den Hintern. Christian sah Pfannkuchen weiter vorn, eine zusammengeschnürte Decke vor sich auf dem Boden.
    »Umdrehen. Vorhaut zurückziehen. – Maul halten!« Die aufblitzende Wut im Gesicht des Blauuniformierten, die hochschnellende Hand: Hier wird nicht lange gefackelt, Jugendfreundchen. Die Stimmen hallten. Ein fensterloses Gewölbe, Christian konnte erkennen: Stahltreppen in der Mitte, links und rechts davon Gitterböden, darauf, übereinander, langsam wandernde Stiefelprofile.

    » Auf Effekten! « Das war eine Kammer, in der es Kleider gab. Eine Frau, hinter einer Holzschranke, sagte: »Habseligkeiten vorlegen.« Tatsächlich: Habseligkeiten, wunderte sich Christian. In die Schranke, das Holz war glattgegriffen und rund wie eine Ruderpinne, hatte jemand seine Initialen geschnitzt. Habseligkeiten: Uhr, Taschentuch, Kamm, Wehrdienstausweis, Geldbörse, das Foto des Wiedehopfs aus dem Donaudelta, Reinas Brief, Waschzeug, die Uniform. Die Frau kontrollierte, zählte auf, was Christian behalten durfte, trug das übrige in eine Liste ein, zeichnete mit einer Sigle gegen . Christian bekam ein Deckenbündel und eine vielfach geflickte Uniform mit Leuchtstreifen, die Hosenbeine waren zu kurz. Dann wurde er in eine Zelle geführt. Hinter ihm krachte der Schlüssel im Schloß, dreimal, viermal, sehr laut, ein besonderes Schloß, ein besonderer Schlüssel. Christian stand in der Zelle und bemerkte, daß er nicht allein war. Er mußte sich erst an das dämmrige Licht gewöhnen. Er sagte: »Guten Tag.«

    Die Straßenbahn . Christian sah: zwei Bänke an den Längswänden, darauf etwa zwanzig Männer, die ihn teils ruhig, teils feindselig musterten.
    »Spitzel«, sagte einer.
    »Nee. Der ist zum ersten Mal eingefahren. Sieht man dochgleich. Zeig mal die Pfoten.« Christian streckte die Hände vor. »Nee. Der hat noch nie gearbeitet. ’n Studierter.«
    »Abitur«, brachte Christian mühsam vor.
    »Kannste hier nich gebrauchen. Weißte, wo du hier bist? In der Straßenbahn. Vorm Vollzug kommt die Straßenbahn. Vollzug ist besser. – Bei dir tipp’ ich auf Scheiße beim Barras.« Der Häftling wies auf Christians Uniform. »Deine Nummer?« Christian verstand nicht.
    »Dein Paragraph.«
    »Zweihundertzwanzig.«
    »Ach ja. Öffentliche Herabwürdigung. ’n Tip: Wenn du in ’n Verwahrer kommst, lies die Gesetze. Darfst du.«
    »Hübscher Junge«, sagte einer.
    »Ja. Fast wie ’n Mädchen.«
    »Is’ gleich Zählung.«
    »Hm.«
    »Für den Tip krieg ich ’ne Zigarette«, sagte der, der ihn nach seinem Delikt gefragt hatte.
    »Hab’ ich nicht.«
    »Haste doch. Mußt du dir kaufen. Hast jetzt eine Zigarette Schulden bei mir. Man sieht sich, keine Sorge.«
    »Mach doch mal einer die Buchte auf!« Eine meterlange Stahlstange klappte das Fenster hoch. Davor Gitterstäbe, die das einfallende Licht in sieben Streifen schnitten. Die Tür wurde aufgerissen, die Tür krachte zu. Es kamen Neue, manche wurden herausgeholt. Immer wieder ein Wort: zügig. Oder: Machense Lack! Oder: Zieh ’n Finger! Der Schlüssel stach wie mit einem Hammer hineingetrieben ins Schloß. Bei diesem Geräusch fuhren die Zelleninsassen zusammen, selbst die älteren Häftlinge, deren Züge Brutalität ausstrahlten. Dann wälzte der Schlüssel einen weichen metallischen Widerstand beiseite, drei-, viermal; jedesmal klang es, als ob ein Maschinengewehr durchgeladen würde. Christian hatte sich in die äußerste Ecke des Raums gedrückt, beobachtete die anderen, ohne sich zu bewegen, nicht einmal dem Juckreiz, der ihn nun wie vor einem allergischen Anfall am ganzen Körper plagte, wagte er nachzugeben. Er stand, ohne sich zu rühren, und wenn er ausatmete, tat er es, wenn Bewegung in die Zelle kam; dann wechselte er auch Stand- und Spielbein. Nach langerZeit (die Uhr war auf Effekten geblieben), holte man ihn aus der Zelle. Es ging die Treppe in der Mitte des Gewölbes hinauf.

    Auf Kartei . »Zügig, zügig!« Vier Stockwerke hoch; vor einer glattgegriffenen hölzernen Schranke hieß man ihn warten. Andere Häftlinge kamen. In der Mitte des Nachbarraums stand frei, bespannt mit rotem Leder, ein Klavierhocker, der über eine Schneckenschraube nach oben oder unten verstellt werden konnte.
    »Hinsetzen.« Der Fotograf tat geschäftig, stellte Scheinwerfer ein, nahm Christian von links, rechts und vorn auf.
    »Hände ausstrecken.« Der Posten

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