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Der Turm

Der Turm

Titel: Der Turm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Uwe Tellkamp
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bestimmt auch in diesem Fall gut gesichert, aber unsere armen Künstlergarderoben! Denken Sie denn, ich lasse mein Instrument allein?«
    »Schön, aber haben Sie einen anderen Vorschlag?«
    »Wir gehen einfach über die Schillerstraße hoch.«
    »Auch dort liegen Hauptwasserrohre. Auch die dürften geplatzt sein … Und der Buchensteig geht noch steiler hoch. Aber bitte, Sie können durchaus kundschaften gehen. Oder Sie bleiben mit Ihren kostbaren Instrumenten einfach hier«, versetzte Herr Knabe höhnisch.
    »Ach was, wir kehren um und gehen in ein Hotel«, meinte Herr Malthakus. »Paar Mark hab’ ich noch übrig, und vielleicht läßt man uns im Eckberg auf Anzahlung übernachten.«
    »Machen Sie sich keine Hoffnungen«, sagte Meno, »die sind schon voll mit Evakuierten aus der Johannstadt.«
    »Da – eine Schneefräse«, der Waldhornist wies auf die Strecke vor dem Kuckuckssteig.

    Die Kälte biß zu, die Kälte knautschte den Weißnebel aus den Kühltürmen des Kraftwerks zusammen, der sonst wie ein Vollrausch-Traum blühte: den Himmel hier auf Erden zu haben, und explosiv klar, zündend und phantastisch zu vergänglichen Atmosphärenpilzen schwoll; die Kälte gab dem Eisen der Spitzhacken einen anderen Klang; die Kraftwerksleitungen, sonst schwirrend von Elektrizität, wisperten, flüsterten wie gedämpfte Instrumentensaiten, wirkten unter dem Eisanflug roh und schmerzempfindlich; menschengemacht. Christian war seit siebzehn Stunden ununterbrochen im Einsatz. Vor dem Kraftwerk stauten sich Waggons mit Braunkohle. Die Kohle aber war in den Waggons festgefroren und mußte freigesprengt werden; die Detonationen übertönten kurzzeitig das Rattern der Motorhämmer, die eilig aus der Bundesrepublik herbeigeschafft worden waren. Es war nicht angenehm, zu dem Kommando zu gehören, das die Aufgabe hatte, Waggons beiseite zu räumen, bei denen die Sprengsätze nicht gezündet hatten.
    »Wir haben zwei Kandidaten«, bot Schlückchen den Lokführern an, die ihre Junggesellen Lose ziehen ließen.
    »Hoffmann oder Kretzschmar, wer geht?« Er warf eine Münze, entschied: »Kretzschmar.«
    »Bleib hier«, sagte Christian, »ich gehe.«
    »Warum?« fragte Schlückchen verdutzt.
    »Bei ihm geht’s schief.«
    »Na dann«, sagte Schlückchen, »mir egal. Ich hab’ nichts gegen Helden.«
    »Mach dir nichts vor, Nemo. Dir schlottern die Knie.«
    »Ja, aber du bleibst trotzdem hier.« Es würde nichts passieren: beschloß Christian. –
    Ein Hubschrauber landete, entließ einige Hohe Tiere, die nervös fuchtelnd hierhin und dorthin liefen, an Walkie-talkies knipsten, mit dem Krisenstab des Braunkohlenkombinats diskutierten (Pläne wurden ausgerollt, fesselten die Aufmerksamkeit für einen Augenblick, dann gab es etwas Neues, die Pläne schnappten beleidigt zusammen und blieben liegen); Entscheidungsträger , die vor dem Kraftwerk und der dahinter kalt sinkenden Sonne Bewegungen vollführten, die Christian an Indianer-Beschwörungstänze erinnerten. Bevor die Entscheidungsträger wieder in den Hubschrauber kletterten, standen sie mit eingestemmten Armen reglos vor den Kohlewaggons, eine Versammlung trauriger, machtloser Männer.

    30. Dezember: Aus der Stadt kamen die Evakuierten mit Armeelastwagen, die sich den freigehackten Weg am Mordgrund hinaufquälten; immer neues Wasser floß den Berg hinunter, vereiste; Splitt und Asche verhinderten nicht, daß die Route zur gefährlichen Schlingerbahn wurde. Richard sah: Soldatenkompanien, auch Mitarbeiter aus der Grauleite schwangen die Spitzhacken, um den Weg zu beräumen; einzelne Bekannte, die das Streugut verteilten. Woher kam das Wasser? Der Stromausfall – es hieß, der Süden der Republik sei betroffen, die Hauptstadt erfreue sich, besonderer Absicherungen wegen, des vorsilvesterlichen Gemütlichkeitsglanzes – hatte das Wasser in vielen Leitungen einfrieren lassen, das hatte Rohre gesprengt; aber es war doch Eis? überlegte Richard, während er neben Niklas durch den Schnee stapfte und das über die Straßen gleitende Wasser beobachtete; neues gluckerte auf, vereiste rasch, man kam mit dem Streuen nicht nach. Niklas zog einen Leiterwagen mit Verbandmaterial und Arzneimitteln, die sie aus seiner Praxis geholt hatten. Richard fluchte leise, er hatte geglaubt, ein geruhsames Silvesterfest zu verbringen mit Punsch, Gesprächen, etwas nachweihnachtlicher Besinnlichkeit, Wanderung zumPhilalethesblick, um die raketenüberblitzte Stadt zu betrachten und auf das neue Jahr anzustoßen

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