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Der Turm

Der Turm

Titel: Der Turm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Uwe Tellkamp
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wiederbegegnen würde, sah Meno noch einmal in seiner Tasche nach den Papieren: Personalausweis, Einladung des Alten, beglaubigte Hektografie des Arbeitsvertrags. Hastig sah er sich um – wer den Brückenweg betrat, wollte nach Ostrom, und es gab nur weniges, was mit größerem Mißtrauen im Viertel angesehen wurde als ein Besuch »da drüben«, wie es ausweichend-abfällig hieß. Man hatte keine hohe Meinung von diesem Viertel und allem, was damit zusammenhing; man mied im allgemeinen die im Winkel zwischen Fichtenleite undTurmstraße gelegene Grauleite: dort befand sich die Kaserne für die Wachsoldaten, die, vom Straßennamen abgeleitet, »die Grauen« genannt wurden, dort stand auch, verborgen hinter Bäumen, ein Betonbunker mit großen Peilantennen darauf. Es hieß: Wer in die Grauleite marschierte, wurde übersehen, wer in die Grauleite ging, wurde durchschaut.
    Der Brückenweg hatte Mauern zu beiden Seiten. Nach zwanzig Schritten traf man auf einen Tordurchlaß, eine Wand quer über den Weg, die bis zur Mauerkrone in etwa vier Metern Höhe reichte. Ein rotweiß gestreiftes Wächterhäuschen stand neben dem Tor; der Posten darin hatte eine Kalaschnikow geschultert, schrie schon von weitem, was Meno wolle, verlangte seinen Personalausweis zu sehen. Dann drückte er auf einen Klingelknopf im Wächterhäuschen, das Tor öffnete sich.
    »Zu wem möchten Sie?« Der Oberleutnant warf einen abschätzenden Blick auf Meno, der mit abgenommenem Hut vor dem Fensterchen des Kontrolldurchlasses stehengeblieben war, und zog sich mit lässiger Gebärde die Handschuhe aus.
    »Ich habe einen Termin mit Herrn Georg Altberg, acht Uhr.« Altberg – das war der richtige Name des »Alten vom Berge«; aber kaum jemand in der Dresdner Literaturszene nannte ihn so, wenn man unter sich war und über ihn sprach. Meno wunderte sich, wie fremdartig der Name klang, unvertraut und seltsam unpassend. Der Oberleutnant streckte die Hand aus und ließ sich vom Unteroffizier, der unter einer Tafel mit Leuchtdioden an einem Telefontisch saß, eine Kladde geben. Im Viertel ging das Gerücht, daß in dieser Kladde sämtliche Anwohner Ostroms mit Namen, Adresse, Funktion und Foto verzeichnet standen, so daß sie für die aufführenden Offiziere leicht zu identifizieren waren und sich kein Unbefugter Zutritt erschleichen konnte. Der Oberleutnant fuhr mit dem Finger die aufgeschlagene Seite hinab und zeigte dem Unteroffizier etwas, wahrscheinlich eine Telefonnummer, denn der zog sofort einen der beigefarbenen Apparate heran, wählte und reichte den Hörer dem Oberleutnant, der nach einem kurzen Wortwechsel nickte und Menos Personalausweis auf dem Drehtellerchen im Sprechfenster nach außen schob. »In Ordnung, Sie können passieren. Stellen Sie einen Aufenthaltsschein aus, GenosseUnterfeldwebel. Wie lange wird Ihr Besuch dauern?« wandte sich der Offizier an Meno.
    »Kann ich noch nicht sagen. Es ist ein Arbeitsbesuch.«
    »Nehmen Sie einen Drittelschein«, befahl der Oberleutnant. Der Unteroffizier griff in ein Fach mit säuberlich geordneten Papieren, spannte ein Formular, Kohlepapier und einen Durchschlag in die Schreibmaschine neben dem roten Telefon ganz rechts unter der Leuchtdiodentafel, begann jeden Buchstaben einzeln in die Maschine zu hacken. Es gab Achtel-, Viertel-, Drittel-, Halb- und Vollscheine; die Bruchteile bezogen sich jeweils auf vierundzwanzig Stunden. Unbegrenzte Aufenthaltserlaubnis hatten, soweit Meno wußte, nur die Anwohner. Er wartete. Das Zweifingersuchsystem des Unteroffiziers, eines wohlgenährten rotblonden Burschen mit Bauernhänden, schien nicht sehr effizient. Wenn der sich verschrieb, begann die Prozedur von vorn, und wieder würde er beobachten können, wie die Zunge des Schreibers langsam die Wange beulen und jeder Treffer auf der Tastatur ein leichtes Zusammenzucken seines Vorgesetzten bewirkte. Dieser stand ruhig da, schlürfte Kaffee aus einem braunen Plastbecher, beobachtete Meno. Jetzt machte sich der Unteroffizier an der Leuchtdiodentafel zu schaffen. Hinter ihm hing ein Bord mit Sicherheitsschlüsseln, ein verplombter Kasten, ein Breshnew-Porträt mit einem Trauerstreifen über der linken oberen Ecke. Auf dem Tisch neben dem Oberleutnant lag der »Schneekristall«, ein Band Erzählungen des Autors Georg Altberg.
    »Unterschrift, Drittelschein, acht Stunden Aufenthalt.« Der Unteroffizier drehte das Formular und einen Kugelschreiber durchs Fensterchen. »Im Feld ›Aufenthaltsberechtigter‹.« Meno setzte

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