Der Turm
wohl nicht? – über Freundin Arachne gelesen. Eine sehr gute Arbeit, solche Monographen lobe ich mir …« Er zögerte wieder, schob das Pfeifchen in die Manteltasche. »Spinnen faszinieren mich schon lange. Gehe ich recht in der Annahme, daß diese Arbeit Teil eines umfassenderen Textes ist?« Der Hund Kastschej hatte sich auf die Hinterläufe gesetzt und folgte mit aufmerksamem Blick, hin und wieder hechelte seine sattrosafarbene Zunge, dem Gespräch. »Wahrscheinlich«, antwortete Meno verdutzt – und nicht sehr geistesgegenwärtig, wie ihmschien. Auf der Straße von einem Menschen, den er gar nicht näher kannte, auf einen Text angesprochen zu werden, der in einer entlegenen naturwissenschaftlich orientierten Zeitschrift veröffentlicht worden war, noch dazu vor einigen Monaten, erschien ihm ebenso seltsam, wie es ihn freute. Außer dem Redakteurskollegium, das sich lange unschlüssig gewesen war, ob sein Text nicht in einem literarischen Periodikum angemessener aufgehoben sei, schien niemand seine Veröffentlichung bemerkt zu haben. »Wahrscheinlich, ja«, besann er sich, »ich habe noch einiges an Material.« Arbogast nickte, blickte wieder prüfend zum Himmel, der nur aus herabfallenden Schnee-Geweben zu bestehen schien, schmutziggrau im Licht des dämmernden Tages. »Wir werden Sie, denke ich, einmal einladen. Kennen Sie die Urania-Gesellschaft?«
Meno bejahte.
»Es wäre in diesem Rahmen. Wir werden Sie kontaktieren. Mondleite zwei, nicht wahr?« Wieder erschien das Lächeln, und wieder hatte Meno den Eindruck, daß es wie ein Fremdkörper in Arbogasts wachsbleichen Zügen hing. »Oder haben Sie Telefon?«
»Nur einen gemeinschaftlich genutzten Anschluß.«
»Nun, wir schreiben Ihnen. In diesem Jahr und kommenden Januar haben wir nichts mehr frei, wenn ich es recht übersehe. Aber im Februar dürfte es noch Kapazitäten geben, und sicherlich im März.« Arbogast wippte mit dem Stock, schnalzte Kastschej, der sich kräftig schüttelte und dabei einen weißen Sprühwirbel aufschleuderte, der Gesicht und Brillengläser Arbogasts mit Schneeplacken verblindete. Dann sauste Kastschej davon. Der Baron drohte ihm mit dem Stock hinterher und ließ Meno ohne weiteren Abschiedsgruß stehen.
Freundin Arachne? Eine sonderbare Wortwahl, und Meno, der irritiert, aber auch erfreut von dem Vorkommnis weiterging, hätte noch lange darüber nachgesonnen, wenn nicht, auf der Höhe der Arbogastschen Sternwarte, ein kleiner Trupp Soldaten im Schneegestöber aufgetaucht wäre. Ein Unteroffizier kommandierte mit stark sächselnder Stimme. »Rechts schwenkt – marsch!« Der Trupp bog auf den Brückenweg zu von der Straße ab, verfolgt vom gelangweilt-herablassenden Blick einesOberleutnants. Hinter den Soldaten stauten sich einige Autos, die Meno erst jetzt bemerkte. Der weiche Schneefall nahm den Geräuschen die Echos, so daß die Stimme des Unteroffiziers und das Stiefelstapfen wie in Watte gepackt schienen.
»Abteilung – halt!« befahl der Oberleutnant. »Genosse Unterfeldwebel, lassen Sie das Manöver wiederholen. Das war kein exakter Rechtsschwenk, das war ein Pißbogen.«
Weitere Autos stauten sich, ebenso Passanten, die aus der Sibyllen- und Fichtenleite gekommen und auf dem Weg zur Arbeit waren. Sie warteten schweigend, als der Trupp eine Kehrtwende vollzog und dabei über die ganze Breite der Turmstraße stampfte. Meno beobachtete sie. Einige warteten mit angriffslustig vorgestreckten Kinnen und beobachteten aus zu schmalen Schlitzen zusammengekniffenen Augen das Manöver der Soldaten. Die meisten aber hielten die Köpfe gesenkt, hatten die Hände in den Manteltaschen vergraben, klopften den Schnee mit den Schuhspitzen zu Mustern. Der Fahrer im vordersten Auto sah mehrmals gereizt auf seine Uhr, trommelte mit den Fingern gegen das Lenkrad. Eines der dahinter wartenden Autos hupte ungeduldig. Der Oberleutnant ließ wieder unterbrechen und schlenderte, wie unschlüssig die Hände auf dem Rücken gegeneinanderschlagend, in Richtung des Wagens, der gehupt hatte. Ein knapper Wortwechsel war zu hören, herrisch geführt vom Oberleutnant, kleinlaut vom Fahrer. Der Oberleutnant kam zurück, verstaute ein Notizbuch in der Innentasche seines Mantels, nickte dem Unteroffizier zu, worauf der Trupp sein Schwenkmanöver fortsetzte. Als die Soldaten in den Brückenweg eingebogen waren, löste sich der Stau auf. Eingeschüchtert von dem Gebaren des Oberleutnants, dem er am Kontrolldurchlaß am Ende des Brückenwegs
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