Der Überläufer: Tweed 3
konnte sich so an Newmans Rockzipfel hängen. Kommt die Tatsache hinzu, daß sie ebenfalls Journalistin ist.«
»Sie haben doch nichts gegen meine Frage?«
»Nein, falls es die letzte war.« Tweed streckte die Arme und spreizte die Finger. »Newman wird möglicherweise in den nächsten Tagen Tallinn besuchen wollen. Ich hoffe, ich bin in Helsinki, bevor er weg ist.«
»Oder er kommt nicht wieder?« mutmaßte Butler.
»Auch das ist drin. Er ist schlau, sehr erfahren – wahrscheinlich einer der besten Auslandskorrespondenten der Welt. Was mir Angst macht, das ist sein seelischer Zustand – wie ich schon vorhin erwähnte. Es kann nur einen Grund geben, warum er die Fahrt nach Tallinn riskiert …«
»Und der wäre?« fragte Butler.
»Er glaubt, daß seine Frau dort ermordet worden ist. Seine Schläue macht mir im Augenblick die meisten Sorgen.«
»Ich kann ihnen nicht folgen«, sagte Nield, sich zum erstenmal ins Gespräch mischend. Da er jünger war als Butler, war er mehr darauf bedacht, zuzuhören, als zu sprechen.
»Nehmen wir an, er findet, während er dort ist, den Mörder seiner Frau«, führte Tweed aus. »Wird er imstande sein, seine gewohnte Selbstbeherrschung zu behalten? Wenn die Ereignisse hier nur rascher abliefen! Ich könnte das nächste Flugzeug nach Helsinki nehmen und mit Newman von Angesicht zu Angesicht reden. Beten wir zu Gott, daß es so kommt. Und jetzt muß ich euch eure Beobachtungsobjekte zuteilen.«
Spät an jenem Abend machte Cord Dillon auf der Drottninggatan seinen zweiten Nachtspaziergang. Offensichtlich in Gedanken mit einem Problem beschäftigt, schlenderte er mit gesenktem Kopf und den Händen in den Taschen seines Mantels dahin.
Hinter ihm folgte Poluschkin, dessen Gummisohlen keinen Laut verursachten, im selben Tempo. Peter Persson hatte sein Hinken abgelegt und trug einen kurzen Regenmantel. Mit schwerfälligen Schritten folgte er Poluschkin, kurz vor beleuchteten Schaufenstern stehenbleibend und hineinsehend.
Magda Rupescu trug Schuhe mit flachen Absätzen. Sie blieb immer wieder stehen und suchte in ihrer Handtasche, als habe sie etwas verloren. Sie war etwa drei Dutzend Schritte hinter Persson, das dichte rote Haar unter einem Kopftuch verborgen.
Persson richtete seine ganze Aufmerksamkeit darauf, Poluschkin im Auge zu behalten, doch wußte er wohl, daß eine Frau langsam hinter ihm herging. Er schaute zurück, als er vor einem Schaufenster stehenblieb, und sah, daß Magda einem vorübergehenden Mädchen ein gefaltetes Blatt zeigte. Auch eine Touristin, die sich im Straßen- und Insellabyrinth Stockholms verirrt hatte. Wenigstens war sie so vernünftig, um diese späte Nachtstunde eine andere Frau um Rat zu fragen.
Persson ging weiter, stets Abstand von Poluschkin haltend. Langsam gewann es Bedeutung, daß Cord Dillon so genau »markiert«
wurde. Hornberg würde das höchst interessant finden. Er ging etwas rascher. Dillon war bald am Ende der Straße angelangt. Von da hatte er drei Möglichkeiten, seinen Weg fortzusetzen: südwärts über die Brücke nach Gamla Stan, ostwärts zum
Grand Hotel
und nach Westen weg vom Stadtzentrum.
Poluschkin blieb plötzlich stehen. Vor ihm hatte Dillon die Straßenecke erreicht und blieb ebenfalls stehen, drehte sich um, zündete sich hinter der hohlen Hand eine Zigarette an. Poluschkin glitt in einen Ladeneingang. Persson ging weiter, Dillon verschwand um die Ecke, und Poluschkin tauchte wieder aus dem Ladeneingang auf.
Der Russe schaute sich nicht um. Er schien nur an das zu denken, was mit Dillon passierte. Er erreichte die Ecke im selben Augenblick, als Persson eine Seitenstraße überquerte, nachdem er sich mit einem schnellen Blick vergewissert hatte, daß kein Fahrzeug kam.
Wieder passierte er einen Ladeneingang, als die Frau mit dem Kopftuch zur Linken auf gleiche Höhe mit ihm aufschloß. Steife Ablehnung bemächtigte sich seiner. Sie hielt einen entfalteten Plan des Stadtzentrums in Händen.
»Entschuldigen Sie«, sagte sie auf schwedisch, »aber ich habe mich total verirrt. Ich suche eine Straße – Hamngatan. Ich fragte vorhin eine Frau, aber sie war aus Hälsingborg.«
Während sie redete, in der linken Hand die Handtasche und die entfaltete Karte haltend, ließ sie die Karte fallen, und sie landete im Ladeneingang. Persson machte einen Schritt hinein und bückte sich, um sie aufzuheben. Sein sechster Sinn warnte ihn zu spät.
Er richtete sich auf und drehte sich eben um, als Magda ihm die lange Nadel der
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