Der Überläufer: Tweed 3
der Jacke eine weiße Bluse mit Stehkragen. Sie legte die Arme um ihn und sah ihm ins Gesicht.
»Irgendwas ist los, Bob? Was ist? Ich seh es deinem Gesicht an.
Bist du böse mit mir, weil …«
»Ich bin gerade selbst erst heimgekommen. Während ich fort war, ist hier alles umgedreht worden.«
»Umgedreht?«
»Durchsucht. Von Profis. Alles ist so, wie ich es verlassen habe – aber doch nicht ganz. Ich wüßte gerne, wer dafür verantwortlich ist?«
»Jemand, der wußte, daß du nicht da warst«, mutmaßte sie scharfsinnig. »Und wer wußte es?«
»Mir fällt niemand ein«, log er.
»Dein Schlüssel war nicht unten in der Rezeption, als ich früher kam. Ich dachte, du wärst hier, und kam herauf. Als ich um die Ecke bog, sah ich einen Mann in der Livree des Hotels aus einem Zimmer kommen. Ich dachte, es wäre deines, meinte dann, ich müsse mich geirrt haben.«
»Profis«, wiederholte Newman. Mauno Sarins Leute, war sein erster Gedanke gewesen. Er dankte Gott, daß er Alexis’ Brief in der Brusttasche bei sich trug.
»Du siehst sehr abgespannt aus«, sagte sie. »Ich dachte, wir könnten vielleicht morgen nach Turku fahren – damit du einen Tag aus Helsinki rauskommst. Es würde dir guttun. Wir könnten zeitig am Morgen wegfahren.«
»Nicht so früh. Nein«, antwortete er schroff, mit den Gedanken bei der Frage, wer sein Zimmer durchsucht haben mochte. »Vielleicht gegen Mittag«, fuhr er fort.
»Warum nicht zeitig?« drängte sie.
»Weil ich diesmal länger schlafen will«, erwiderte er mit einem Anflug von Gereiztheit. »Ich meine, falls du nichts dagegen hast, daß ich beim Tagesplan auch mitrede.«
»Natürlich nicht. Wir könnten jetzt ins Bett gehen, wenn du möchtest«, sagte sie mit dem gewissen Blick.
»Nein! Es war ein Fehler.« Er fühlte sich in die Ecke gedrängt.
»Sieh her, Laila, wenn man entdeckt, daß das Zimmer durchsucht worden ist, ist das nicht erfreulich. Warum treffen wir uns nicht zum Mittagessen im Speisesaal? Ich muß mir Notizen machen …«
»Selbstverständlich. Und wann glaubst du, daß dein Hunger sich melden wird?« fragte sie spöttisch.
»Ist mir egal! Nun, sagen wir zu Mittag. Ich seh dich dann.«
»Mittag haben wir bereits.«
Sie ging ohne ein weiteres Wort hinaus. Um Zeit zum Nachdenken zu finden, benützte sie die Treppe. Irgend etwas stimmte nicht. Warum hatte er sie angefahren, als sie vorschlug, zeitig wegzufahren. Sie war fast im Erdgeschoß, als sie stehenblieb. Oh, mein Gott! Dieses verdammte Schiff nach Tallinn lief um halb elf aus. Und es mußte die Sicherheitspolizei gewesen sein, die das Zimmer »umgedreht« hatte, wie er sich ausdrückte. Also hatte er ihren Vater aufgesucht. Sie mußte Tweed warnen. Newman war in Gefahr. Sie rannte die restlichen Stufen hinunter und zur nächsten Telefonzelle.
»Ich spüre die Hand meines alten Widersachers Lysenko, die bei den neuesten Entwicklungen im Spiel ist«, sagte Tweed in seinem Schlafzimmer vor versammelter Mannschaft.
Er betrachtete wieder die Fotos von Magda Rupescu und Poluschkin, die Nield in Solna aufgenommen hatte. Nield selbst saß auf einem Stuhl, während Butler an der Wand lehnte. Ingrid hatte auf dem Bett Platz genommen, und ein vierter Mann stand neben ihr.
Jan Fergusson, der Schotte, der Stilmar von London nach Stockholm gefolgt war, war nur um einige Zentimeter größer als Ingrid.
Ein drahtiger, leichtfüßiger, schlanker Mann mit knochigem Gesicht, dessen Ausdruck zwischen unergründlich und ausdruckslos variierte. Er trug eine Leinenjacke, Jeans und ein Hemd mit offenem Kragen. Er war dreiunddreißig, sah aber um zehn Jahre jünger aus, wirkte auf den Straßen Stockholms wie einer aus den Scharen von Studenten, die durch die Stadt flanierten, was sich in seiner beruflichen Tätigkeit schon oft als Vorteil erwiesen hatte.
»Und warum ausgerechnet Lysenko, dieser hinterhältige Bastard, Mr. Tweed?« fragte er.
»Schwer zu sagen. Aber ich möchte meine Pension wetten, daß Lysenko jetzt von Moskau in die Nähe von Helsinki umgezogen ist. Wie ich wird er spüren, daß die Suche nach Procane sich dem Höhepunkt nähert. Der ganze Ablauf der Ereignisse beschleunigt sich. Ingrid, erzählen Sie uns noch einmal, was Sie heute beobachtet haben.«
»Zuerst sah ich Helene Stilmar unten in die Halle kommen. Sie hat ihr Zimmer hier in derselben Etage – wenn man aus diesem Zimmer kommt, nach rechts den Gang entlang.«
»Was ist daran so Besonderes, daß sie hier wohnt?« fragte
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