Der Überläufer: Tweed 3
abgestorbenen Stämmen ausweichend.
Dann hörte er es. Das Knirschen von morschem Holz, dem er ausgewichen war. Das Knirschen wiederholte sich. Rasch wechselte er auf die geteerte Straße hinauf und ging rasch nach Süden, weg von Hässelmara.
Er starrte angestrengt in die Richtung, aus der die Geräusche gekommen waren, seine kurzen Beine gewannen erstaunlich rasch Boden. Hinter einer schirmenden Wand aus Bäumen in einiger Entfernung bewegte sich etwas. Er ging weiter.
Das nächste war das Aufheulen eines Motors. Genau der Laut, der ihn zuerst im Haus alarmiert hatte. Heftiges Schalten, als der Wagen sich über Erdfurchen hinwegbewegte. Fast schon im Laufschritt erreichte er die Straße.
Etwas Grünes verschwand um die nächste Kurve. Er blieb stehen.
Das Motorengeräusch wurde schwächer, verklang. Er drehte sich um und wanderte zum Haus zurück. Das eigenartige Lächeln in seinem Gesicht würde Monica im Büro auf dem Park Crescent zu deuten gewußt haben. Nur das blonde Haar hatte er nicht durchschaut. Noch nicht.
Mit böser, grimmiger Miene lenkte Magda Rupescu ihren Saab mit hoher Geschwindigkeit davon. Tweed, Tweed, immer dieser verdammte Tweed! Und dieser Hund hätte sie um ein Haar eingeholt, als sie zu ihrem Wagen rannte, dabei auf morsche Äste getreten war und viel zuviel Lärm gemacht hatte. Enttäuschung und Wut mehrten sich noch durch den Umstand, daß sie keine Ahnung hatte, wie der Bastard sie bemerkt hatte. Noch dazu von drinnen!
Sie hätte viel für einen Befehl gegeben, Tweed zu töten. Die Ausführung würde ihr nahezu sexuelle Befriedigung verschafft haben. Wie eine Verrückte fuhr sie, schleuderte um Kurven, bremste im letzten Augenblick. Fahren beruhigte sie.
Das änderte alles. Sie wußte, was sie als nächstes zu tun hatte.
Tallinn verständigen. So schnell wie möglich nach Stockholm zurückkehren, um die Nachricht abzuschicken. Ja, diese winzige Episode änderte alles. Und sie würde die Nachricht so abfassen müssen, daß man ihr keine Schuld an dem Desaster geben konnte.
»Haben Sie den Spaziergang genossen?« fragte Hornberg, als sie in den Volvo stiegen.
Obwohl sie sich beide sattgegessen hatten, hatte er gut ein Drittel der Brote neben dem metallenen Mülleimer am Straßenrand bei den Stufen zurücklassen müssen. Er fuhr nach Süden – dieselbe Strecke, die Tweed vorhin gegangen war.
»Es war eine gute Übung, ja«, antwortete Tweed. »Übrigens, wann verläßt die nächste Fähre Dalarö?«
»Um vier«, sagte Hornberg, nachdem er auf die Uhr geschaut hatte.
»Können wir sie erreichen?«
»Sicher. Es ist Ihr Tag heute.«
Sie befuhren einen Großteil der Insel. Die Straße wand sich meilenlang durch Wald, es war die reinste Wildnis. An einem Punkt streckte sich Tweed, als wäre er steif geworden, und schlug vor, eine Rast für eine weitere Gehübung einzuschieben. Hornberg fuhr noch ein Stück und lenkte dann den Wagen einen einsamen Pfad hinunter.
»Ich glaube, wir sind nah am Meer. Lassen Sie mich lauschen.«
Er hielt den Wagen an, schaltete den Motor ab, stieg aus und stand ganz still. Tweed folgte nach, und als er die Wagentür schloß, klang es wie ein Pistolenschuß. Zwischen den Bäumen schwebte der Seenebel; Tweeds Brillengläser beschlugen.
Wieder überfiel sie die gleiche brütende Stille. Sie befanden sich mitten in der Wildnis, aber in einiger Entfernung rauschte etwas, das Geräusch, das Wasser verursacht, wenn es gegen den Strand schlägt. Hornberg wies mit der Rechten in die Richtung.
»Hören Sie das? Das ist die Ostsee da drüben. Kommen Sie!«
Er begann zu gehen, mit weiten Schritten seiner langen Beine.
Tweed machte erst gar nicht den Versuch, zu ihm aufzuschließen, als sie sich zwischen den in blassen Nebel gehüllten Stämmen hindurchwanden. Er betrachtete den Boden, als er langsam hinter dem Schweden einhertrollte.
In unregelmäßigen Abständen hielt er an und stampfte mit den Füßen gegen den Grund. Hart wie Stein. Und noch mehr Steine, in den Erdboden versenkt, mit hellgrüner Moosflechte bedeckt.
Zehn Minuten später sah er Hornberg im Freien auf einer Granitplattform sitzen und ihm deuten, er möge sich beeilen.
»Die Ostsee …«
Hornberg zeigte auf die glatte Wasseroberfläche zwanzig Meter unter ihnen. Langsam hob und senkte sich der Wasserspiegel am Fuße des Felsens. Tweed stellte den Kragen seines Regenmantels hoch, die Luft war kalt und feucht. Die beiden Männer ließen den Blick im Kreis wandern. Die Inselkette zog
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