Der Überläufer: Tweed 3
Brüssel nach London zurück.
Am Montag, dem 3. September, traf er am späten Vormittag am Park Crescent ein und spürte, kaum daß er das Gebäude betreten hatte, daß etwas passiert sein mußte. Monica saß ungeduldig hinter ihrem Schreibtisch und sah ihm zu, wie er seinen Burberry auszog. Die zwei Monate dauernde Hitzewelle war gebrochen, es regnete leicht, und die Temperatur war erheblich zurückgegangen.
»Dringende Anrufe für Sie aus Paris, Frankfurt und Genf«, berichtete sie.
»Das Wasser im Teekessel beginnt zu sieden.«
»Was für ein Teekessel? Was geht hier vor?«
»Ich kann es Ihnen nicht sagen. Tut mir leid. Ab jetzt werden Sie, ich muß es bedauerlicherweise sagen, völlig im Dunkeln arbeiten.«
»Fein. Ist eben eine neue Erfahrung für mich«, sagte sie herb.
»Es ist wegen dieser Direktive«, tröstete er sie. »Ich muß in dieser Sache ganz auf mich allein gestellt arbeiten. Am Ende werden Sie verstehen warum.«
»Ich kann’s kaum erwarten.«
Sie tat so, als müsse sie intensiv eine Akte studieren. Tweed fluchte innerlich. In all den Jahren hatte sie immer jedes Detail seiner Unternehmungen gekannt, ungeachtet der damit verbundenen Gefahren. Er begann diesen Fall Procane noch mehr zu hassen. Monica sprach hastig, ohne dabei ihren Chef anzusehen.
»Alle Daten bezüglich der Anrufe liegen auf Ihrem Tisch. Der Anrufer aus Frankfurt war eine Frau, die beiden anderen waren Männer. Sie erbaten dringend Ihren Rückruf.«
»Ich erledige das jetzt gleich.«
»Soll ich hinausgehen?«
Er warf ihr über den Rand der Brille einen Blick zu und schüttelte dann den Kopf. Es brach neuerlich aus ihr heraus.
»Ich hasse es, wenn Sie mich so ansehen.«
Er rief Frankfurt zuerst an. Nachdem er die Nummer gewählt hatte, folgte eine kurze Pause, dann war Lisa Brandts Stimme zu hören. Sie mußte neben dem Telefon auf den Anruf gewartet haben.
»Ich nehme das Gespräch auf Band auf«, warnte er sie und drückte auf einen Knopf, wodurch der in der dritten Lade seines Schreibtisches verborgene Kassettenrecorder in Gang gesetzt wurde.
Es war ein sehr einseitiges Gespräch. Lisa redete, und Tweed hörte zu. Gelegentlich stellte er eine kurze Frage. Ihr Bericht war knapp und geschäftsmäßig – ganz anders als ihr wortreiches Schwatzen beim Lunch im
Intercontinental.
Er bedankte sich und legte den Hörer auf.
»Wer schreibt das Aufgenommene?« fragte Monica, jetzt etwas ruhiger geworden.
»Das mache ich«, sagte Tweed und beließ es dabei.
Die Prozedur wiederholte sich mit André Moutet in Paris und mit Alain Charvet in Genf. Auch diese beiden hatten auf den Anruf gewartet. Als die Gespräche beendet waren, holte er seine alte Remington aus dem Schrank, spannte ein Blatt ein, nahm die Kopfhörer des Bandgerätes und tippte ein Protokoll aller drei Gespräche. Ohne Durchschlag. Die drei Blätter, die er als Unterlage verwendet hatte, zerriß er, dabei wohl gewahrend, daß Monica absichtlich nicht herschaute.
Danach steckte er jedes Blatt in eine verschließbare Mappe, legte die drei sauber übereinander auf den Tisch, nahm die Brille ab und begann sie zu putzen. Das war das Signal für Monica, die ihren Aktenordner schloß und wartete. Er räusperte sich und begann zu sprechen.
»Ich halte Sie aus dieser Sache raus, weil es die delikateste Angelegenheit ist, mit der ich zu tun hatte, seit ich hier bin. Wenn sie nach hinten losgeht, möchte ich nicht, daß Sie darin verwickelt sind.«
»Nach hinten losgeht?«
Monicas Ärger und Enttäuschung lösten sich in Nichts auf. Statt dessen zeigte sie Angst und echte Besorgnis. Sie starrte ihren Chef an.
»Sie könnte sehr leicht nach hinten losgehen«, sagte Tweed.
»Wenn das Ding mir ins Gesicht krepiert, will ich nicht, daß die Trümmer auch Ihnen um die Ohren fliegen. Howard mag Sie nicht allzu sehr – aber er ist fair.«
»Aber ich habe erwartet – erhofft –, das hier könnte zu Ihrer Beförderung führen …«
»Ich wandle auf dem Drahtseil über einem Abgrund. Das sollte man besser nicht vergessen …«
Ihre Angst wuchs. In diesem Augenblick kam Howard ins Zimmer und sagte genau das Falsche. Sein glattes Gesicht war gerötet, er schien aufgeregt und in einer seiner wichtigtuerischen Phasen.
»Ich möchte mit Ihnen allein reden.« Er warf einen Blick zu Monica. »Ich sagte allein.«
»Wenn Sie sie nett darum bitten, wird sie dem entsprechen.
Vergessen Sie bitte nicht, daß sie ein vertrauenswürdiges Mitglied unseres Mitarbeiterstabes
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