Der Überläufer: Tweed 3
ist«, sagte Tweed giftig.
»Das war vielleicht ein bißchen hart formuliert.« Es war das Äußerste an Entschuldigung, wozu Howard sich hergab. »Etwas Ernstes – sehr Ernstes – ist passiert. Ich muß Tweeds Rat zu dem Stand der Dinge einholen. Danke, Monica.«
»… Tweeds Rat einholen.« Innerlich sträubte sich alles bei Tweed, wenn er diese für Howard typische Rede hörte. Das klang, als konsultierte er seinen verdammten Arzt. Er saß bewegungslos da, während Howard loslegte.
»Über Geheimtelefon habe ich mit einer Person geredet, von der ich zu allerletzt etwas hören möchte. Er muß mitten in der Nacht aufgestanden sein, um mich anzurufen. Manchmal glaube ich, er geht überhaupt nie zu Bett. Da ist wirklich die sprichwörtliche Katze mitten unter die Tauben geraten. Wenn man ihm zuhört, könnte man glauben, der Dritte Weltkrieg sei ausgebrochen …«
»Von wem reden Sie eigentlich«, unterbrach Tweed.
»Von Cord Dillon. Höchstpersönlich. Er fliegt tatsächlich heute herüber. Sie werden ihn natürlich in Heathrow abholen. Ich gebe Ihnen die genauen Flugdaten.«
»Nein«, sagte Tweed.
»Wie bitte?«
»Ich hole ihn nicht in Heathrow ab.«
»Jemand muß es tun.« Howard war offensichtlich tief bestürzt. Er ließ sich in Tweeds bequemen ledernen Armsessel fallen und fuhr sich mit den Händen durchs Haar. »Warum wollen Sie ihm nicht die Ehre erweisen?«
»Schlechte Taktik.«
Cord Dillon. Vizedirektor der CIA. Howard haßte den Mann – aus tiefster Seele, nach Tweeds Ansicht, weil er mit dem hitzigen Amerikaner nicht zurechtkam. Er erinnerte sich an eine Auseinandersetzung, die beide in seiner Gegenwart gehabt hatten.
»Ihr Briten solltet wieder einmal euren Arsch vom Sitz kriegen und Wellen machen. Wir können nicht den ganzen verdammten Kram allein erledigen – aber ich schätze, so wie die Dinge hier laufen, werden wir nicht anders können. Warum könnt ihr keine Wellen machen?«
»Weil wir kein Ruderverein sind«, war Howards steife Entgegnung gewesen.
»Und ich habe geglaubt, dieser Mensch ist dazu da, keine Wellen reinkommen zu lassen«, hatte Dillon zurückgefaucht.
Das war also der Amerikaner, der den Atlantik überquerte, um sie mit seiner höchst unwillkommenen Gegenwart zu beglücken.
Neuerlich fragte Howard, ob Tweed Dillon abholen werde, und wieder lehnte Tweed ab. Etwas an Tweeds Verhalten nährte in Howard den Verdacht, daß Tweed insgeheim über den Gang der Dinge erbaut war.
»Was«, frage Tweed, »verschafft uns denn die Ehre?«
»Er hat Berichte aus Paris erhalten, wonach ein Amerikaner namens Adam Procane zu den Sowjets überlaufen will. Sie wissen, wie er ist. Ich bin kaum zu Wort gekommen.« Howard stand auf, zog sein Jackett glatt. »Dann werde ich ihn wohl selber abholen müssen.«
»Liegt ganz bei Ihnen.«
»Sie
sind mit dem Procane-Fall betraut«, klagte Howard irgendwie verdrießlich.
»Weshalb ich auch für Dillon keinen roten Teppich ausrolle.«
»Und es gibt nichts, was Sie mir über das, was vorgeht, mitteilen wollen? Wie ich höre, laufen die Drähte heiß, über die Nachrichten vom Kontinent hier ankommen.«
»Wollen Sie sich der Mühe unterziehen, diese Berichte zu lesen. «
Tweed reichte seinem Chef die drei Mappen und lehnte sich zurück, während Howard im Stehen las. Sein Ausdruck von Düsterkeit und Ärger verstärkte sich, als er die Blätter studierte und hernach auf den Tisch fallen ließ.
»Herrgott, Tweed: Paris, Frankfurt und Genf melden alle dasselbe – Procane wird auf seinem Weg nach Rußland in Europa erwartet.« Er ließ sich wieder in den Armsessel fallen und hob mit verzweifelter Geste die Hände. »Sie sehen die Implikationen dahinter? Angesichts Reagans Kandidatur im November? Können Sie sich die Folgen vorstellen, die ein großer Spionageskandal hätte? So etwas kann ihn die Wahl kosten! Sieht ganz so aus, als hätten die Amerikaner ein faules Ei, das viel größer ist als Philby.«
»Genau. Ich bin soeben aus allen diesen Städten zurückgekehrt, auch von Brüssel. Ich habe meine Hauptinformanten aufgesucht, die jetzt allen Gerüchten in Sachen Procane nachgehen. Das Ergebnis – viel schneller, als erwartet, wie ich zugeben muß – liegt in Form dieser Berichte vor.«
»Wer sind aber A, B und C?«
»Meine Informanten. Sie müssen total abgeschirmt bleiben.
Wenn die Russen Wind von der Sache bekommen – und das werden sie –, dann könnten sie versuchen, einen oder mehrere meiner Leute zu kidnappen, um ihnen
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