Der Überlebende: Roman (German Edition)
Datenhandschuh vor, mit dem man den Greifarm eines einzelnen S-bots manipulierte, man konnte weiße, türkisfarbene, gelbe und rote Kapseln in eine unterteilte Schachtel aus durchsichtigem Plastik legen. Außerdem arbeiteten wir an einem Versuch, bei dem mehrere S-bots, jeder für sich, auf dem Boden verstreute Tabletten aufhoben und sie in einem Behälter deponierten. Die Aufgabe bereitete ungeahnte Schwierigkeiten, wenn zwei S-bots nach derselben Tablette griffen. War der erfolgreiche S-bot wesentlich schneller als der andere, wandte der sich einem anderen Ziel zu. Kam der erfolglose S-bot nur wenig zu spät, verfolgte er seine Absicht weiter, die Tablette aufzugreifen, dann verwirrten sich die Greifarme, oder die beiden S-bots dockten aneinander an, obwohl sie das gar nicht sollten.
Debbie und Carl erstellten auch eine Animation meiner Gestalt, aus deren Händen die verschiedenen von uns entwickelten Typen von Greifarmen herauswuchsen. Darauf löste sich mein Körper wie eine Hülle von einem kompletten S-bot. Eine Animation von Debbie küsste den S-bot, und er fiel wie eine Verkleidung von meinem intakten Körper ab.
In glänzenden weißen Boxerhosen und leuchtend rotem Trikot saß Peter auf einem Barhocker. Er hielt Sondra die Hände hin, damit sie sie bandagierte, ehe er die Boxhandschuhe anzog. Der Fitnessbereich im Werk war gewissermaßen ein Geschenk des Vorstands an die Belegschaft, eine Anerkennung dafür, dass die POWERWOLF W-8 2000 so gut lief. Weil Peter boxte, gab es auch einen Boxraum. In allen Räumen waren Bildschirme mit an das TRS angeschlossenen Kameras aufgestellt, aber Peter und Sondra konnten nicht ahnen, dass ich sie beobachtete, denn die rote Lampe brannte nicht. Niemand, auch Peter nicht, wusste, dass ich als Einziger die Möglichkeit hatte, die Kameras zu aktivieren, ohne dass sich das rote LED einschaltete. Sondra hatte ihren Besuch nicht angekündigt. Das Werk war best practice, einer der nächsten Events des Kandor Clubs sollte wieder bei uns stattfinden.
Weder Peter noch Sondra sprach ein Wort, in dem Raum herrschte völlige Stille. Dennoch vermeinte ich ein Flüstern, ein Murmeln zu hören. Nicht Peter redete, seine Gesichtszüge sprachen. Wehrlos hatten sie sich gefühlt, aber ihre Energien gestapelt. Stets und allseits bedroht waren sie gewesen, sich ihrer Kräfte noch nicht bewusst, ohne Anführer, konzeptionslos. Aber jetzt hatten sie eine Gebieterin, Sondra, die vor Selbstbewusstsein beinahe explodierte. Der nichts fremder war als die Wehmut angesichts der Vergänglichkeit einst innigst geliebter Dinge. Die Mitglieder des Kandor Clubs sind besessen vom Abriss der Gegenwart. Die Gegenwart bedeutet für sie vor allem Unordnung: zu viele Anblicke, zu viele Anreden, ein Überfluss von bedeutsamen signalgebenden Kombinationen, zu viele Anmutungen. Hochintelligent, haha, supertrainiert, naja, tun sie fallweise so, als schleppten sie ein Geheimnis aus seinem Versteck. Schließlich erzählen ihnen Coaches, es sei wichtig, dass sie menschlich wirkten. Aber bitte kein Anfassen, kein Befühlen des Geheimnisses, das eine notwendige, im Grunde genommen widerwärtige Verunreinigung darstellt. Tief anrührende Wehrlosigkeit eines Menschen oder eines Dinges – was wäre das? Ein Todeshauch? Flausen! Die Zukunft ist für sie eine Charaktereigenschaft, bei ihnen schon immer unbewusst vorhanden, auf einmal überraschend ans Licht der Wahrheit getreten. Die Vergangenheit nichts anderes als ein nervöser Tic. Sie rechnen und planen und konzipieren und konstruieren, aber tief in ihrem Inneren spüren sie, dass die Zukunft da entstanden ist, zunächst unbemerkt, und dass sie von dort aufsteigen wird in die Wirklichkeit. Diese Empfindung ist zu fest in ihnen verwurzelt, als dass sie sich täuschen könnten. Sie haben kein Heimweh nach einer Gesellschaft der Schuldlosen. Sondra war ohne Erbarmen und ohne übergeordnete Vernunft. Peters Gesichtszüge redeten auf ihn ein, er solle Sondra folgen. Er blickte wie jemand, der, um einen bestimmten Entschluss zu fassen, sich erst zu allem entschlossen geben muss.
Sondra hatte Übung darin, Peters Hände zu bandagieren. Nachdem sie fertig war, hielt sie seine Hände an den Gelenken hoch und klapste seine Handschuhe.
Zuerst schlug Peter nur mit einer Faust und nicht sehr stark. Sondra umklammerte den Boxsack und rief ihm etwas zu, das ich nicht verstand. Die Beleuchtung ließ seine Schultern und Oberarme über dem roten Trikot völlig weiß erscheinen,
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