Der Überlebende: Roman (German Edition)
Nägel, es war kein Unterschied zwischen den neu aufgebrachten und den anderen Nägeln zu sehen. Mit einem zufriedenen Gesichtsausdruck griff sie nach dem Fläschchen mit dem Nagellackentferner, sie hatte es nicht wieder verschlossen, und goss mir den Inhalt ins Gesicht.
Die Aufgabe bestand darin, eine Beute zu einer Lichtquelle zu transportieren. Wir wählten als Beute einen Plastikkaktus, mit seinem nach außen heruntergezogenen Rand bot der Topf einen idealen Angriffspunkt für die Greifarme. Drei S-bots hatten fünfzehn Sekunden Zeit, den Kaktus so nahe wie möglich zu der zweihundertfünfzig Zentimeter entfernten Lichtquelle hin zu bewegen. Natürlich musste darauf geachtet werden, die S-bots und die Beute in der Ausgangsstellung derart anzuordnen, dass die Lichtquelle nicht verdeckt wurde.
Einer der drei S-bots war blind. Natürlich hätten wir ihn so programmieren können, dass die Laser-Scanner und die Kamera außer Funktion gesetzt waren oder der entsprechende Input für die Selbststeuerung des S-bots nicht berücksichtigt wurde. Man hätte auch einfach die Laser-Scanner und die Kamera mit Isolierband überkleben können. Aber ich wollte die Augen des S-bots nicht beschädigen, sondern ihm eine Maske aufsetzen, durch die er nicht hindurchblicken konnte. Was sich wegen der rotierenden Greifarme gar nicht so einfach gestaltete, es war nicht möglich, dem S-bot mit einer zusammenhängenden Maske die Sicht zu nehmen. Ich experimentierte mit Papier, Schere, Klebeband und Klebstoff, um eine zweiteilige Maske zu basteln. Über den Turm mit der Kamera stülpte ich einen Papierkegel, der auf der Verankerung des flexiblen Greifarms befestigt war und mit ihm rotierte, den Korpus mit den Laser-Scannern umhüllte ich mit einem unterhalb des starren Greifarms fixierten Band, in das ich völlig überflüssigerweise dort Löcher schnitt, wo es keine Laser-Scanner bedeckte.
Das Gewicht der Beute war so gewählt, dass ein S-bot allein sie nicht bewegen konnte. Wie vorherzusehen, verschlechterte der blinde S-bot die Leistung der drei S-bots drastisch. Während bei den Kontrollversuchen die drei S-bots mit ihrer Beute das Ziel fast durchwegs in der vorgeschriebenen Zeit erreicht hatten, kamen die beiden sehenden S-bots mit der Behinderung des blinden S-bots nicht weit. Die Ergebnisse änderten sich jedoch eindrucksvoll, als wir bei allen drei S-bots ein neuronales Netzwerk zuschalteten. Wir hatten mit beliebigen Gewichtungen der Inputwerte begonnen und durch zufällige Variation diejenige Gewichtung ermittelt, bei der sich die S-bots so schnell und so gerade wie möglich bewegten. Mit dem neuronalen Netzwerk waren die Ergebnisse fast so gut wie diejenigen der drei nicht-blinden S-bots.
Am Ende der letzten Versuchsreihe ereignete sich ein Zwischenfall: Der obere Teil der ziemlich beanspruchten weißen Maske des blinden S-bots war gerissen und heruntergekippt, ich hatte es nicht sofort bemerkt, der Greifarm klemmte. Obwohl nur noch wenige Versuche auf dem Programm standen, baute ich einen neuen Papierkegel und ersetzte auch gleich das ebenfalls mitgenommene Band um den Korpus. Aber der S-bot mochte die neue Maske nicht, oder er wollte nicht mehr, so wirkte es jedenfalls. Anstatt wie bisher darauf zu warten, dass sich ein sehender S-bot zuerst mit dem flexiblen Greifarm an dem Plastiktopf einhakte und sich mit dem blinden S-bot über den starren Greifarm verband, fuhr der blinde S-bot auf die Beute zu und vollführte mit dem flexiblen Greifarm hastige, ruckartige Bewegungen. Es wirkte, als ob ein geblendeter Gladiator, der seinen Gegner trotzdem orten konnte, versuchte, diesen mit seinem Schwert zu treffen.
Ich konnte den Anblick nicht ertragen und hielt einen Schweißbrenner vor den blinden Roboter. Er verging in einem Feuerstoß, der auch den Plastikkaktus im Plastiktopf zur Hälfte verbrannte.
Am Morgen hatte ich eine E-Mail des Nachfolgers von Cathleen Nebe bekommen. Im ersten Moment hatte ich gedacht, sie selbst habe mir wieder geschrieben, aber die Mail bezog sich auf einen Vorgang, der schon zwei Jahre zurücklag, und kam nicht von Cathleen Nebes Account, der Nachfolger beglaubigte sich mit der Kopie. Zwei Jahre lang hatte ich alle Operationen so durchgeführt, wie es mit Cathleen Nebe vereinbart gewesen war. Das Budget für das Roboterlabor war nicht nur weiter genehmigt, sondern im Verhältnis zu anderen Positionen leicht überproportional erhöht worden. Der Nachfolger hieß Chris Raubal, im Intranet von D’Wolf
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