Der Überlebende: Roman (German Edition)

einen souveränen Eindruck gemacht hatten. Sie hatten nicht mehr damit gerechnet, um diese Zeit noch jemanden von der Firma zu treffen, sie lagen mehr auf den großen Sofas des Eingangsbereichs, als sie darauf saßen, sie schienen völlig erschöpft. Einige hatten ihren Kopf auf dem Schoß einer Kollegin. Keine sprach. Die Beleuchtung in der Lobby erzeugte den Eindruck, als hätten alle die gleichen dunkelroten Kleider an. Mehrere trugen schwarze Stiefel, die bis zu den Knien gingen. Sie sahen aus wie Klone, die die ihnen gestellte Aufgabe nicht gelöst hatten und um die man sich nicht mehr kümmerte.

    Gott will etwas. Das kann heißen: Er schafft es aus der Fülle seiner Existenz, und er liebt es.
    Dass Gott etwas will, kann aber auch bedeuten: Er hasst und verwirft es. Er will es nicht, indem er es gelten lässt, sondern indem er es als das behandelt, wovon er seine Schöpfung befreien und erlösen will. Das Verneinte kann ja nicht ohne ihn sein, es ist ebenfalls durch ihn. Was seinem Willen entzogen wäre, könnte nur das reine Nichts sein.
    In allem und durch alles geschieht Gottes Wille. Wir können versuchen zu hassen, was Gott liebt, versuchen zu lieben, was er hasst. Doch ist es unmöglich, sich zwischen dem göttlichen Ja und dem göttlichen Nein hindurchzuschlängeln, in einem Kompromiss zwischen Gehorsam oder Ungehorsam Zuflucht zu finden. Immer treten wir ein in den Bereich der göttlichen Verneinung und Verwerfung, in den Bereich des Todes –
    Für das göttliche Wesen ist ein Widerspruch zu sich selbst unmöglich. Ein Gott, der mit sich selbst streitet, kann nur ein falscher Gott sein. Es charakterisiert die Kreatur, dass in ihr ein Widerspruch zu Gott und damit auch ein Widerspruch zu sich selbst möglich ist. Immer kann die Kreatur sich selbst aufheben, immer kann die Kreatur verlorengehen.
    Würde Pfarrer Grenzfurtner später predigen.

    »Hat es weh getan?«
    Greta kicherte.
    »Hat es weh getan, Professor Kuckuck? – Es muss doch weh getan haben!«
    Greta verschluckte sich, um dann loszuprusten.
    »Es ist schließlich Nagellackentferner!«
    Ich fand mich auf den Knien wieder und wusste nicht, wie ich auf den Boden gekommen war.
    »Es tut mir so leid …«
    Greta konnte sich kaum halten vor Lachen.
    Mein erster Fehler war, dass ich nicht sofort nach der Mineralwasserflasche auf dem Tisch griff und mir den restlichen Inhalt ins Gesicht schüttete, um die Augen zu spülen. Mein zweiter Fehler bestand darin, dass ich nicht nach unten, sondern nach oben blickte. Bis auf die indirekte Beleuchtung lag der Raum im Dunkeln. Es war eine diesige Nacht, der Dunst und das Kunstlicht hatten sich zu einer gleichförmigen Masse vereinigt, die sich auf alle Gebäude des Flughafens legte. Ich wollte wissen, ob ich noch sehen konnte oder ob ich von einem Moment auf den anderen völlig blind geworden war. Draußen waren die Konturen verschwommen, ein ungeeigneter Test, also blickte ich ebenso folgerichtig wie fehlgeleitet zur Decke des Raums. Die indirekte Beleuchtung an den Deckenrändern zeichnete eine hellblaue Kontur vor dem simulierten dunkelblauen Sternenhimmel. Erleichtert darüber, dass ich nicht blind war, beging ich den dritten Fehler, ich rieb mir die Augen. Dadurch förderte ich das Eindringen der schädlichen Substanz in die Hornhaut.

    Ich wusste nicht, warum Greta mich Professor Kuckuck nannte. Später erinnerte ich mich: dein Lieblingsbuch, Maren. Felix Krull, der Sohn eines gescheiterten deutschen Sektfabrikanten, versieht Aufwärterdienste in einem Pariser Grand Hotel. Hübsch, mit tadellosen Manieren und vorzüglichem Geschmack ausgestattet, hat er das Vertrauen eines jungen Marquis gewonnen und tritt, sich vereinbarungsgemäß für diesen ausgebend, eine Weltreise an, die die Eltern des Marquis ihrem Stammhalter verordnet haben, um ihn von seiner gänzlich unstandesgemäßen Geliebten loszueisen. Im Nachtzug nach Lissabon, dem Ausgangspunkt der Schiffspassage, trifft der falsche Marquis den echten Professor Kuckuck, den deutschen Direktor des paläontologischen Museums in Lissabon, der ihm die Entstehung des Universums und das Auftauchen des Lebens erklärt.
    Hatte mich Greta schon vorher einmal in deiner Gegenwart als Professor Kuckuck bezeichnet, Maren?

    Greta erhob sich, mit der rechten Hand strich sie mir kurz über den Rücken, wie man einen flüchtigen Bekannten tröstet, für den unerwartetes Mitleid in einem hochgestiegen ist, welches man aber auf keinen Fall weiter kultivieren