Der Überlebende: Roman (German Edition)
möchte.
Dann ließ sie sich ebenfalls auf die Knie nieder und machte eine Pantomime, wie ich meinen Oberkörper und meinen Kopf wild schüttelte, wie ich nach oben blickte, wie ich meine Augen rieb.
»Es ist nicht schön, dir zuzusehen!«
Ihr Ton war derjenige, in dem man mit einem ungezogenen Kind spricht.
»Es ist schrecklich.«
Auf ihren Wunsch hatten wir uns im leeren LAX Theme Building getroffen. Das Gebäude aus den sechziger Jahren ist an zwei sich überkreuzenden halbkreisförmigen Rahmen aufgehängt und sieht aus wie eine fliegende Untertasse. Es wurde gerade renoviert und umgerüstet, wir fühlten uns, als wären wir mit unserem Raumschiff gestrandet, inmitten einer fremdartigen Zivilisation, die jedoch keine Notiz von uns nahm. Unmittelbar nach ihrer Auszeit hatte Greta mit großem Einsatz eine Studie verfertigt, die aufzeigte, dass D’Wolf mit einer Offensive von Hybridangeboten ein Wachstum weit über dem des Marktes erzielen konnte, bei einer sehr günstigen Kostenposition. Der Marketingvorstand hatte sie eingeladen, nach der Präsentation war sie die Verantwortliche für das firmenweite Projekt Mars.
Ich hatte eine kleine Präsentation vorbereitet, eine Typisierung der verschiedenen Anwendungsmöglichkeiten der POWERWOLF W 8–2000, und setzte mich neben sie. In vielen Bereichen gab es Standardlösungen, in einigen war die Anzahl der möglichen Lösungen sehr nahe um die Standardlösungen gruppiert, während auf manchen Feldern der Gedanke der Standardlösung überhaupt nicht weiterführte. Wir wollten Rundum-Sorglos-Pakete und flexible Pakete anbieten, für die Felder dazwischen stellte sich die Frage, ob wir Pakete aus einer Hand oder solche mit Zusatznutzen schnürten.
»Ich möchte bei den Valles Marinieris landen. Am Rand der Senke Ophir Chasma«, sagte Greta unvermittelt. Sie war meinem Vortrag mit einer Schnute gefolgt, die ihn unzweifelhaft als Vexation qualifizierte. Mit keinem Wort war sie auf meine Vorschläge eingegangen.
Die Valles Marinieris bildeten den Grand Canyon des Mars, auf der Erde würde der Graben von Gibraltar bis Moskau reichen. Ophir Chasma ist zehn Kilometer tief. Auf dem Mars sehen die Gräben nicht anders aus als die großen Täler, der Beobachter muss immer erst überlegen, ob er selbst ein Riese oder ein Zwerg ist.
»Die Gegend hat etwas Festliches – aber auch etwas Verhextes. Die Felsen sind so scharfkantig. Als wären sie sandgestrahlt. Ist da einst Wasser geflossen? – Der Staub ist wie hingesiebt – um mir die Angst vor den scharfen Felskanten zu nehmen!«
Niemand konnte ihre Fingernägel übersehen. Sie waren doppelt so lang wie natürlich, sie hatte sie abwechselnd mattschwarz und silbergrau lackiert, den linken Daumen schwarz, den rechten silberfarben. Wenn sie eine Hand auf den Tisch legte und die Finger nicht spreizte, oder wenn sie einen Gegenstand umfasste, und die Finger blieben zusammen, dann erzeugten das Schwarz und das Silbergrau der Fingernägel einen merkwürdigen Eindruck von Tiefe. Sie versprachen, wenn man sie nur lange genug anblickte, würde man in dem Schwarz, in dem Silbergrau etwas anderes erblicken.
»Wenn ich aus der Raumkapsel steige, wird mein Herz stillstehen. – Wie wird es sein, wenn ich durch den unberührten Sand stapfe, werde ich rutschen, werde ich einsinken? – Jedes noch so leichte Betreten eine bedeutungsvolle Spur, und was für eine Aussicht! Sonnenauf- und Erduntergänge mehrfach am Tag! Über dem einmal geschwungenen, einmal gezackten Saum der Täler, über dem Faltenwurf der Felsformationen die rettende Erde weg und wieder da, die lebensspendende Sonne wieder da und weg. Der Raumanzug erzengelhaft funkelnd, dann ganz schnell vampirisch entfärbt. Die Höhen nicht nur rot, rosig, hagebuttenfarben, wie unterschiedlich die Steine im direkten und im indirekten Licht. Doch, es gibt auch andere Farben auf dem Mars, weil Staub- und Eispartikel das Licht vielfach streuen. Mit jedem Schritt, den ich mache, verändern sich Gestalt und Masse der Formationen um mich. Der Planet changiert permanent. Ist er es noch?
Die Berge, die Felsen, die Gräben, die Täler, jederzeit können sie verschwinden in Sandstürmen. Dust devils. Kann man dazu Staubteufel sagen? – Klingt spießig. Aus großer Entfernung sehen die Spuren der Dust devils aus wie Tuschestriche, meistens sehr feine, aber manchmal, als ob die Feder geschmiert hätte. Wie ist es im Zentrum eines Dust devils? Stürmt, braust, rotiert, taumelt man da
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