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Der Überlebende: Roman (German Edition)

Der Überlebende: Roman (German Edition)

Titel: Der Überlebende: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ernst-Wilhelm Händler
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mit? – Es muss laut sein – natürlich nicht draußen, in der Atmosphäre, die fast keine ist, sondern drinnen, im Raumanzug, auf den die Partikel prallen.«
    Verlegen hatte ich meine Hände sinken lassen. Fahrig griff ich in die Spalte zwischen zwei Polstern, dort ertastete ich etwas Kleines, Flaches. Mit Daumen und Zeigefinger beförderte ich es unauffällig zu Tage, es war ein künstlicher schwarzer Fingernagel, er sah genauso aus wie einer von Gretas Fingernägeln.
    Als Kind habe ich geschrien, wenn meine Mutter mir die Nägel schnitt. Sie erklärte mir, dass Nägel leblos sind und dass man beim Schneiden nichts spürt, aber das stimmte nicht. Sie probierte verschiedene Arten von Scheren und Nagelclips aus. Die Nagelclips waren auch noch laut, es war jedes Mal wie eine Explosion. Mit der Schere verteilte sich der Schmerz in der Zeit. Es tat weniger weh, wenn die Krümmung der Schere dem Nagel folgte, und nicht, wie eigentlich gedacht, vom Nagel weg ging.
    An Gretas Fingern fehlte kein Nagel. Entweder hatte sie den aufgefundenen Fingernagel bei einem früheren Besuch hier verloren, oder es war passiert, bevor ich eingetroffen war, und sie hatte einen Reservenagel aufgebracht.
    »Ohne einen Laut will ich mich im Gegenlicht wiegen, nicht mehr eng gepresst von den Verhältnissen, nicht mehr gestaucht von anderen Menschen. Keine Möglichkeit zum Krachschlagen. Kein Volltanken mit dem Radau der Existenz, um genau dafür fit zu sein. Der Planet wispert Lautlosigkeit. Als Zeichen äußerster Zutraulichkeit zu dem Planeten will ich mich auf der Stelle hinlegen und in Schlaf fallen! Nicht nur der Staub, auch die Steine sind federbetthaft verlockend. Der Planet ersucht um Anhalten des Gefühls. Der Planet selbst ist das Gleichgewicht, ich bin nur – was? – ein Gefäß ohne Seelenregungen, ohne Gedanken. – Wenn ich durch die Luft springe, die keine ist, durchaus nicht schwerelos, aber famos leichter, werde ich vor mich hinlächeln. Kein Geduldsfaden mehr, der reißen könnte.«
    Greta war aufgestanden, während sie sprach, und ging in dem nur schwach beleuchteten Raum umher. Plötzlich schnellten ihre Hände aus dem Nichts. Ihre Nägel scharfe Klingen – nicht auf einem Bildschirm, sondern unmittelbar neben meinem Gesicht.
    Ich erschrak und wollte die Hand schützend vor mich halten, aber ich konnte Daumen und Zeigefinger nicht voneinander lösen. Ich hatte den Fundfingernagel so stark zwischen meinen Fingern gepresst, dass der Daumen an der Unterseite mittels des erwärmten Klebers und der Zeigefinger an der Oberseite durch den Lack mit dem künstlichen Fingernagel verklebt waren.
    Aus einem Reflex heraus, um sie von dem abzubringen, was sie gar nicht vorhatte, um meine Angst zu beschwichtigen, nur um etwas zu sagen, fragte ich Greta, welche Formation den Valles Marinieris auf der anderen Seite des Planeten gegenüberliege.
    Während ein abgelenkter Lichtstrahl wie ein Blitz über ihr Gesicht fuhr – ich verstand gar nicht, woher er kam und wie er seinen Weg durch den Nebel gefunden hatte, die einzigen bewegten Lichtquellen waren die Positionslichter der startenden und landenden Flugzeuge –, murmelte sie, den Valles Marineris gegenüber liege Syrtis Major Planum. Sie hielt die Hände vor sich, spreizte die Finger und führte sie zusammen, so dass ihre Hände fast eine Kugel bildeten. Dabei presste sie die Finger so stark gegeneinander, dass mehrere Nägel abfielen.
    »Frage mich! – Direkt gegenüberliegen ist viel zu einfach. Frag mich! – Frag mich nach einhundertzwanzig Grad Ost und fünfzig Grad Nord – Utopia Planitia – nach einhundertachtzig Grad Ost und fünfzig Grad Nord – Arcadia Planitia – Ich kenne jede Formation! Ich weiß genau, wo sie liegt! – Frag mich, ob ich den Mars drehe! In meinem Kopf! Oder ob ich mich um den Mars drehe!«
    Aus ihrer Handtasche nahm sie ein Set heraus, das mattschwarze und silbergrau lackierte Reservenägel, Nagellackentferner und Klebstoff enthielt. Während sie ihre bloßliegenden natürlichen Nägel sorgfältig reinigte, setzte ich mich neben sie. Erst bestrich sie die natürlichen und dann die Unterseite der künstlichen Nägel mit Kleber. Völlig ruhig, ihre Hände zitterten nicht, positionierte sie die künstlichen auf die natürlichen Nägel. Nur kurz presste sie jeweils mit Daumen und Zeigefinger der anderen Hand den gerade aufgeklebten künstlichen Nagel auf den Untergrund. Sie nahm die Hände hoch, spreizte die Finger und betrachtete die

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