John Grisham
John Grisham
D AS GESETZ
Stories
Für Bobby Moak
Nachdem Die Jury vor über zwei Jahrzehnten erschienen war, wurde mir schmerzhaft bewusst, dass es wesentlich schwieriger ist, Bücher zu verkaufen, als sie zu schreiben. Ich erstand eintausend Exemplare und hatte viel Mühe, sie loszuwerden. Nachdem ich sie im Kofferraum meines Autos gestapelt hatte, fuhr ich los und bot sie in Büchereien, Gartencentern, Urlaubsressorts, Lebensmittelgeschäften, Cafes und einer Handvoll Buchhandlungen an. Häufig begleitete mich mein lieber Freund Bobby Moak auf diesen Reisen.
Es gibt Geschichten, die wir nie erzählen werden.
Blutsbrüder
ALS SICH DIE NACHRICHT von Baileys Unfall in der ländlichen Siedlung Box Hill herumgesprochen hatte, gab es bereits mehrere Versionen. Ein Mitarbeiter der Baufirma hatte seine Mutter angerufen und berichtet, dass Bailey beim Einsturz eines Gerüstes in der Innenstadt von Memphis verletzt worden sei, dass er operiert werde, dass sein Zustand aber stabil und nicht lebensbedrohlich sei. Baileys Mutter, mit über zweihundert Kilo Körpergewicht krankhaft fettleibig und leicht erregbar, fing angesichts dieser Nachricht hysterisch an zu schreien, wodurch ihr ein paar Fakten entgingen. Sie rief Freunde und Nachbarn an, um ihnen die tragische Geschichte zu erzählen, und jedes Mal variierte sie Details oder erfand etwas dazu. Da sie es versäumt hatte, sich die Telefonnummer des Firmenmitarbeiters zu notieren, gab es keine Möglichkeit, die Gerüchte, die sich wie ein Lauffeuer verbreiteten, auf ihren Wahrheitsgehalt hin zu überprüfen.
Einer von Baileys Kollegen, der ebenfalls aus Ford County stammte, rief seine Freundin in Box Hill an und gab eine etwas andere Version der Ereignisse durch: Bai ley sei von einem Bulldozer überfahren worden, direkt neben dem Gerüst, und er sei so gut wie tot. Die Arzte bemühten sich, aber es sehe düster für ihn aus.
Dann rief jemand aus der Verwaltung des Krankenhauses in Memphis bei Bailey zu Hause an und wollte dessen Mutter sprechen. Man sagte ihm, dass sie im Bett liege und zu erregt sei, um zu sprechen, und dass sie deshalb nicht ans Telefon kommen könne. Die Nachbarin, die den Anruf entgegennahm, versuchte, dem Verwaltungsangestellten weitere Einzelheiten zu entlocken, bekam aber nicht viel aus ihm heraus. Auf der Baustelle sei irgendetwas eingestürzt, vielleicht ein Graben, in dem der junge Mann gearbeitet habe, oder so etwas in der Art. Ja, er werde operiert, und das Krankenhaus benötige ein paar Angaben zu seiner Person.
In dem kleinen Backsteinhäuschen von Baileys Mutter herrschte bald reges Gedränge. Am späten Nachmittag waren die ersten Besucher eingetroffen: Freunde, Verwandte und ein paar Pastoren aus den zahlreichen kleinen Kirchengemeinden des Ortes. Die Frauen versammelten sich in Küche und Wohnzimmer und tratschten, während immer wieder das Telefon klingelte, die Männer standen draußen und rauchten. Aufläufe und Kuchen tauchten auf.
Da man nichts zu tun hatte und wenig über Baileys Verletzungen wusste, stürzte man sich auf jeden noch so kleinen Hinweis, analysierte und zerpflückte ihn, um ihn dann an die Frauen im Haus beziehungsweise die Männer draußen weiterzugeben: Ein Bein sei zerquetscht und müsse vermutlich amputiert werden. Bailey habe ein schweres Schädel-Hirn-Trauma erlitten. Er sei mit dem Gerüst vier Stockwerke hinabgestürzt, vielleicht auch acht. Sein Brustkorb sei zerschmettert worden. Manche der Theorien wurden spontan entwickelt. Hier und da erkundigte sich jemand mit Grabesmiene gar nach der Beerdigung.
Bailey war neunzehn und hatte in seinem kurzen Leben noch nie so viele Freunde und Bewunderer gehabt. Je weiter die Zeit voranschritt, desto mehr liebte ihn die versammelte Gemeinde. Ein guter Junge sei er, hieß es, ein viel besserer Mensch als sein nichtsnutziger Vater, den seit Jahren niemand gesehen hatte.
Baileys Exfreundin erschien und stand bald im Mittelpunkt des Interesses. Sie war aufgeregt und durcheinander und fing immer wieder an zu weinen, vor allem wenn sie von ihrem geliebten Bailey sprach. Als indes die Mutter im Schlafzimmer von ihrer Anwesenheit erfuhr, ließ sie sie vor die Tür setzen und nannte sie eine kleine Schlampe. Die kleine Schlampe gesellte sich zu den Männern draußen, rauchte und flirtete mit ihnen. Irgendwann verabschiedete sie sich mit dem Schwur, dass sie jetzt nach Memphis fahren werde, um ihren Bailey zu besuchen.
Der Cousin einer Nachbarin, der in Memphis lebte,
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