Der Überraschungsmann
ein, und Justus selbst installierte mir die wichtigsten Anschlüsse. Die gemütliche Hannelore und die braunäugige Inge halfen mir dabei, die Küche einzurichten, und versorgten uns alle mit selbst gemachtem Nudelsalat. Schon bald standen die Computer der Mädchen in ihren Zimmern, lief warmes Wasser aus dem Boiler und standen die ersten Kästen Stiegl-Bier auf dem Dachboden. Es herrschte regelrechte Partystimmung. Besonders erfreut nahm ich zur Kenntnis, wie gut sich Emil und Justus’ Söhne verstanden. Nach nur einem einzigen Treffen hatten sie beschlossen, gemeinsam eine WG zu gründen.
»Hier stehen so viele alte Wohnungen leer – die kriegen wir zu einem Spottpreis!«
Natürlich war noch vieles improvisiert, aber das Wissen, meinen eigenen Weg zu gehen, nicht weich geworden zu sein, stimmte mich geradezu euphorisch. Zum ersten Mal im Leben dachte ich wirklich nur an mich!
Die Mädchen schleppten tatsächlich jeden Mittag neue Freun dinnen an, und ich hörte sie schon im Flur rumoren. »Sorry, wir haben noch keine Garderobenhaken, also schmeiß die Klamotten hier einfach auf den Haufen, okay? Wir sind hier nämlich so ne Art Mädels-WG, also bitte nicht alles so eng sehen, ja?« Dann versammelten wir uns in der kleinen, gemütlichen Küche mit den Dachfenstern und improvisierten mit vereinten Kräften ein Mittagessen.
»Deine Mutter ist voll cool«, hörte ich einmal so ein Mädel mit Zahnspange zu meiner Pauline sagen. »Überhaupt nicht so pingelig und spießig!«
Nein, dachte ich. Auch mal schön. Fast lebte ich wieder wie eine Studentin. Ich fühlte mich auf einmal um zwanzig Jahre jünger! Außerdem hatte ich auch so genug zu tun! Ich hatte meine Stadtführungen wiederaufgenommen, die nun erfreulicherweise direkt bei mir um die Ecke begannen. Und wenn die Mädchen an den Wochenenden bei Volker waren, verbrachte ich meine Freizeit bei Justus mit den goldenen Härchen auf dem Arm. In seinen Seminaren auf dem Vollererhof. Das große, rustikale Kurhotel mit seinen begonienbewachsenen Balkonen leuchtete in der warmen Frühlingssonne. Der Untersberg war keine in Nebelschwaden gehüllte Mondlandschaft, sondern zeig te sich in einem völlig neuen Gewand: Schneebedeckt strahlte er wie frisch gekrönt durch das frische Grün der neu erwachenden Bäume und Wiesen zu uns herüber. Von meinem Balkon aus hielt ich Zwiesprache mit ihm und bildete mir ein, er würde mir zuzwinkern, so als wollte er sagen: »Siehst du, Mädel, wir haben uns beide nicht unterkriegen lassen!«
Justus ließ mich bei seinen Seminaren hospitieren. Im Lauf der Zeit lernte ich immer neue interessante Menschen kennen. Egal, wie erfolgreich sie auch waren – viele von ihnen hatten immer nur funktionieren müssen, und dasselbe verlangten sie von ihren Mitarbeitern. Mit Justus’ bewährten Übungen lernten diese Kopfmenschen wieder, Zuwendung, Wärme und Liebe zu geben … und entwickelten so Charakter und Charisma. Immer wieder durfte ich miterleben, wie sich anfangs noch müde, verzweifelte Gestalten im Laufe der Woche langsam öffneten wie eine Blume, die sich zur Sonne dreht. Dies hier war meine Passion!
In den Mittagspausen und an den hellen Frühlingsabenden machte ich weite Spaziergänge mit Justus. Wie anders doch jetzt die Waldwege wirkten, auf denen ich damals durch Eis und Schnee geirrt war! Ich fasste immer mehr Vertrauen zu meinem Freund und Mentor, und nach und nach erzählte ich ihm meine ganze vertrackte Geschichte in allen Einzelheiten. Sogar die Schlüsselszene mit der Handtasche schilderte ich ihm.
»War ich nicht blöd?«, stöhnte ich und verbarg mein Gesicht an seiner Schulter. »Dass ich davon ausging, Volker würde mir genau DIESE Tasche schenken?«
»Du hast so viel Liebe zu geben«, sagte Justus eines Abends, als wieder so ein Seminar erfolgreich zu Ende ging und wir Teilgeber uns zum Abschied in den Armen lagen. »Deine Ausstrahlung ist so positiv, so wertschätzend! Könntest du dir vorstellen, meine Seminarpartnerin zu werden?«
Die anderen Seminarteilgeber klatschten spontan Beifall. »Ja, das ist eine großartige Idee!«
Ich war sprachlos und sagte dann: »Ihr traut mir aber viel zu!«
»Du bist ein Naturtalent!«, verkündete Justus, was die anderen nickend bestätigten. »Wir anderen müssen Freundlichkeit und Herzlichkeit mühsam lernen. Wir machen Rollenspiele und schreiben uns Briefe, damit uns klar wird, wie wir auf andere wirken, aber du bist einfach von Natur aus so!«
Alle umarmten mich zum
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