Der Überraschungsmann
Hach! Was sollte ich denn noch sagen, damit sie endlich mit dem Weinen aufhörte!
»Fühl dich einfach als Teil unserer Familie. Ich werde auf dich aufpassen, dich zur Schwangerschaftsgymnastik begleiten und mit dir Strampler kaufen. Und bis zum Geburtstermin ist dein Sven ja wieder da …«
Das war das falsche Stichwort. Jetzt schluchzte sie erneut. Das hatte ich ganz bestimmt nicht gewollt! Sie tat mir so LEID ! Das arme einsame Ding! Wie konnte diese Mutter nicht zu ihr halten? Sie trösten, aufbauen und stärken? Dazu war eine Mutter doch da, egal wie viele Kinder sie hatte!
»Was ist denn das für eine Arie?« Auf einmal stand Volker in seinen Overnight-Boxershorts und seinem schwarzen Boss-T-Shirt in der Küchentür.
»Volker! Seit wann stehst du denn da? Hast du unser Frauengespräch etwa belauscht?«
»Na ja, schlafen kann man bei dem Geheule jedenfalls nicht …«
Lisa erhob sich. »Ich geh dann mal …«
Ich hielt sie an ihrer Kapuze fest. »Du bleibst! Volker tut immer so machomäßig«, flüsterte ich Lisa verschwörerisch zu. »In Wirklichkeit ist er der sanfteste und netteste Frauenversteher der Welt!«
Mir leuchtete selbst ein, dass das unglaubwürdig klang. Am liebsten hätte ich noch hinzugefügt: Du solltest ihn mal im Bett erleben! Wie zärtlich, rücksichtsvoll und fantasievoll er da ist! Aber das ging nun – bei aller Frauenfreundschaft – entschieden zu weit.
Lisa warf Volker einen flackernden Blick zu, in dem die ganze Peinlichkeit dieses Augenblicks stand. Zum Glück hörte ich vertraute trappelnde Schritte nahen.
»Wann gibt’s Frühstück?!« Paulinchen kam schlaftrunken die Treppe herunter. Sie hatte ihren Teddy im Arm und drehte an dessen Ohr.
»Jetzt«, sagte ich munter. Ich umarmte das schlafwarme Kind, das so unbeschreiblich gut nach süßen Träumen roch. Danke, dass du in dieser Sekunde aufgetaucht bist, dachte ich liebevoll. Du rettest mich immer, wenn es peinlich wird.
»Aber Lisa muss auch mitfrühstücken«, beharrte Paulinchen.
»Natürlich«, flüsterte ich in ihre vom Schlaf zerzausten Haare hinein. »Meinst du, wir schicken sie jetzt allein nach Hause?«
Im Spiegel sah ich, wie Volker vor der Espressomaschine unwillig die Brauen hochzog. Na klar, er stand hier in der Unterhose. Da hatte er vielleicht noch nicht so gern Besuch. Aber in diesem Fall konnten wir doch mal eine Ausnahme machen. Außerdem war Lisa ja in dem Sinn gar kein »Besuch«. Da war Volkers Mutter Leonore ein viel störenderer Fremdkörper. Sie wollte ständig im Mittelpunkt stehen und von ihrer großen Zeit als Operettensängerin erzählen. Als ob wir diese Geschichten nicht schon tausendmal gehört hätten!
Volkers Söhne krochen ebenfalls aus ihren Kellerzimmern, ließen ihre Gelenke knacken und gähnten laut. Wie große haarige Wildschweine fielen sie über den Küchentisch her.
»Morgen!«
»Morgen.«
Ich stellte Emil seinen Lieblingsbecher mit Kakao hin, Nathan wollte keinen.
»Lass ihm seine Freiheit!«, hörte ich Volker zu Lisa sagen. »Männer brauchen das.« Dabei sah ich, dass Volker Lisa einen aufmunternden Blick zuwarf. Na also! Er war bei Weitem nicht so überheblich, wie er sich anfangs gegeben hatte.
»Wenn er dich liebt, hast du nichts zu befürchten. Er ist ein guter Mann. Ich habe ihn mir genau angesehen. Mach dir keine Sorgen.« Er drückte ihren Arm.
Lisa lächelte, nickte, stand auf und begann den Tisch zu decken.
Ich warf Volker einen dankbaren Blick zu, den er auffing und erwiderte. Zuversichtlich drückte ich mein Paulinchen an mich. Wir würden Lisas Kind schon schaukeln!
5
Was ist los?«
Mein verschlafener Blick fiel auf den Wecker. Es war zehn nach drei.
»Ein Notruf.«
»Oje!« Hastig glitt ich aus dem Bett, meine Füße tasteten nach den Pantoffeln, und ich griff nach dem seidenen Morgenmantel, den Volker mir geschenkt hatte. So schlich ich die Treppe hinunter, um Volker Kaffee zu machen. Minuten später stand er neben mir, die Arzttasche in der Hand. Sein Gesicht drückte tiefe Besorgnis aus.
»Musst du weit?«
»Lisa«, sagte er und zeigte auf das Nachbarhaus.
Mein Herz setzte einen Schlag aus. Blass starrte ich ihn an. »Das Baby?«
»Keine Ahnung. Sie weint.«
Ohne meinen Kaffee, der gerade vor sich hin rülpsend durch die Maschine lief, auch nur eines Blickes zu würdigen, verschwand er durch die Wintergartentür. Er nahm den kürzesten Weg, durch den Garten. Von drüben sah ich einen matten Licht schein. Er kam von ihrem
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