Der Überraschungsmann
Ich hatte inzwischen Bilder von ihm im Internet gesehen. Okay, zugegeben, ich hatte ihn gegoogelt. Mitsamt seinem weißen Kahn. Sven gefiel mir ausgesprochen gut in seiner ruhigen norddeutschen, bescheidenen Art.
»Du meinst, ob er viele Affären hatte?« Lisa sah mich aus ihren ungeschminkten blauen Augen so intensiv an, dass ich schnell in meine Teetasse guckte.
»Entschuldige. Das war total indiskret.« Ich schlug mir sofort die Hand vor den Mund. Was INTERESSIERTE mich das eigentlich!
Lisa presste die Lippen aufeinander. Das Grübchen in ihrer Wange, das sich sonst immer bildete, wenn sie lachte, grub sich noch tiefer in ihr Gesicht ein. »Klar hatte er Weibergeschichten. Das hat er mir auch ganz offen gesagt. Er hatte schon ein Leben vor mir. Das ist ja nur logisch bei dem Altersunterschied.« Sie nahm einen Schluck Tee und sah mich herausfordernd an. «Das kann ich ihm ja wohl schlecht verübeln. Aber damit ist es jetzt vorbei.«
»Mit Sicherheit«, schickte ich rasch hinterher und schenkte Tee nach. »Der weiß jetzt, wohin er gehört.«
»Ich kriege sein Kind«, stellte Lisa fest, als wenn das nicht schon hinlänglich bekannt wäre. »Das sollte er nicht ver gessen.«
»Das wird er bestimmt nicht.«
»Und ich bin die Erste, mit der er es ernst meint.«
»Klar.«
»Die anderen waren einfach nur Affären.«
»Natürlich.«
»Er liebt nur mich.«
»Das tut er. Entspann dich.« Ich strich sanft über ihren Arm.
»Du bist Volkers zweite Frau, nicht wahr?«
Ich zuckte mit den Schultern und lächelte. »Soweit ich weiß, ja …«
»Wie ist das so für dich, die Nummer zwei zu sein?«
Ich schüttelte den Kopf: »So kann man das nicht sagen. Für Volker bin ich die Nummer eins.«
»Natürlich.«
»Der Knöterich … Verzeihung, Wiebke Nöterich, seine Exfrau, hat irgendwie gar nicht zu ihm gepasst.«
»Und warum hat er sie dann geheiratet?«
»Weil der Knöterich schwanger war.«
»Du meinst, genau wie bei uns?« Lisa wirkte wie hypno tisiert.
»Nein. Ihr liebt euch. Ihr passt zusammen. Ihr seid ein Traumpaar. Du bist eine bezaubernde, talentierte junge Frau, nach der sich alle Männer die Finger lecken. Du könntest jeden kriegen. Jeden, mach dir da mal keine Sorgen.« Mein Redefluss kannte keine Grenzen. Irgendwie war ich nicht so gut im Trösten, wie ich dachte. Was plapperte ich denn da die ganze Zeit?
»Ich will aber gar nicht ›jeden‹.« Lisa zeichnete Gänsefüßchen in die Luft.
»Nein. Entschuldige. Du willst Sven. Und das kann ich sehr gut nachvollziehen.«
»Weißt du, es ist das erste Mal, dass er ohne mich wegfährt.« Sie strich sich müde mit der Hand über die Augen. »Zwei Jahre waren wir jetzt Tag und Nacht zusammen.« Sie spitzte die Lippen und nahm einen Schluck Tee. »Aber jetzt bekomme ich ein Kind und muss lernen, mit den gegebenen Umständen umzugehen.« Sie stellte die Tasse mit Schwung auf den Tisch. »Ich bin eine erwachsene Frau.«
Mir schossen die Tränen in die Augen. Diese tapfere Entschlossenheit rührte mich.
»Besuch doch mal deine Mutter!«, schlug ich vor.
Lisa zuckte überrascht zusammen. »Wie kommst du denn auf DIE Idee?«
»Na, du hast doch jetzt Zeit …«
»Ach weißt du, wir verstehen uns nicht besonders gut.«
»Wenn Frauen schwanger sind, lernen sie ihre Mütter ganz neu kennen.«
»Ich war ihr nie besonders wichtig.«
»Du meinst, sie springt NICHT vor Freude aus dem Hemd und geht mit dir Strampler kaufen und das Kinderzimmer einrichten?«
»Nein, ganz bestimmt nicht. Ihr jüngstes Kind ist gerade selbst erst aus den Windeln. Außerdem ist sie mit der Wahl meines Mannes nicht einverstanden.«
»Warum nicht?«
»Zu alt. Hatte schon andere Frauen. Was weiß denn ich.« Lisa schüttelte entschieden den Kopf.
Ach, DESHALB war Sven noch nicht so oft in ihrem Tal gewesen. Was für eine dumme Mutter. Wenn eine Tochter glücklich verliebt ist, ist es doch völlig UNERHEBLICH , wie alt ihr Auserwählter ist und wie viele Frauen er schon vorher hatte. Hauptsache, das Kind ist glücklich!
»MIR bist du wichtig«, hörte ich mich sagen. »Bei mir bist du immer willkommen.« Ich beugte mich zu ihr und nahm sie in den Arm. »Wir haben dich alle ins Herz geschlossen, Lisa. Selbst Volker.«
»Meinst du? Echt?« Sie zuckte unschlüssig die Achseln.
»Ja. Auch wenn er das nicht so zeigt. Weißt du, seine Mutter Leonore war auch nicht gerade herzlich. Er kann seine Gefühle einfach nicht so zeigen.«
Lisas Augen füllten sich erneut mit Tränen.
Weitere Kostenlose Bücher