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Der Überraschungsmann

Titel: Der Überraschungsmann Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hera Lind
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»laaaangweilig!« gemurmelt und gefragt, wann wir endlich weitergehen. Was sollte ich mir wünschen? Genau in diesem Moment sah ich Volkers Auto vor einem dieser alten italienisch anmutenden Barockhäuser stehen. Das Haus trug die Jahreszahl 1328 . Ganz oben gab es eine grün bepflanzte Dachterrasse. Ob er da gerade einen Patienten besuchte? Jemanden, der zu alt war, um noch die vielen Stufen hinabzusteigen und ihn in seiner Praxis aufzusuchen? Wahrscheinlich. Diese Häuser hatten keine Aufzüge. Hatte ich mir das jetzt gewünscht, dass ich ihn hier treffe? Weil ich gerade so intensiv an ihn dachte? Oder stand der schwarze Fünfer- BMW mit dem Schild »Arzt im Notfalleinsatz« schon länger hier? Gleich würde ich Volker überraschen und mit ihm ins Café Tomaselli gehen. Mein Herz hüpfte vor Freude. Nein, ich hatte wirklich keinen Wunsch offen. Keinen einzigen.
    »Ich bin heute sooooo traurig!« Lisa stand vor der Tür, klein, zart und durchgefroren, denn es regnete wieder mal Bindfäden und war ungefähr zwanzig Grad zu kalt für die Jahreszeit. Passend dazu machte sie ein Gesicht wie drei Tage Regenwetter.
    »He, Süße! Was ist denn los? Komm rein! Du zitterst ja!«
    »Sven ist wieder auf dem Schiff!«
    »Heute schon?«
    »Die Reederei hat angerufen, er musste sofort kommen.«
    »Ach, du arme Maus!«
    »Ich bin so allein! Seit fünf Uhr früh stehe ich am Fenster und heule!«
    »Wann ging denn seine Maschine?«
    »Um sechs Uhr zwanzig! Ich habe sie noch über unser Haus fliegen hören!«
    »Wo ist er hingeflogen?«
    »Nach Miami. Dort befindet sich auch der Sitz seiner Reederei. Sie haben noch ein paar Tage Dienstbesprechung, dann umrundet er in vier Monaten Südamerika und kommt erst im Oktober durch den Panamakanal nach Mexiko!«
    Ich nahm die kleine, zerbrechliche Lisa in meine Arme und tröstete sie. Wie sehr ich das junge Ding doch in mein Herz geschlossen hatte! Sie gehörte wirklich fast schon zur Familie. Zum ersten Mal war sie nicht perfekt gekleidet und geschminkt. Sie sah einfach nur verheult, verknittert und einsam aus. Ihr Gesicht war genauso grau wie der ausgebeulte Jogginganzug, in dem sie steckte.
    »Dafür kommst du jetzt ganz oft zu uns!« Ich zog Lisa mit in die Küche: »Die anderen schlafen noch – warte, ich mache uns einen Tee.«
    Barfuß tappte sie hinter mir her wie ein junger Hund und setzte sich im Schneidersitz auf die Küchenbank. Mit ihren schmalen Fingern zerkrümelte sie ein Stück Würfelzucker aus der grün-weißen Keramik-Zuckerdose. Das reinste Häufchen Elend. Sie weinte bitterlich.
    »Ich fühle mich so scheiße …«
    »Tja, Süße, das ist nun mal das Schicksal einer Seemannsbraut.« Ich lächelte tröstend.
    »Warum tue ich mir das nur an!«
    »Wein ruhig. Wein dich einfach aus. Sieht ja keiner.«
    »Wir haben uns noch die ganze Nacht … ähm … du weißt schon.« Sie schniefte.
    Als ich sie sensationslüstern anstarrte, musste sie unter Tränen lachen. Ich hätte ihr am liebsten die Nase geputzt, strich ihr aber stattdessen zärtlich eine Haarsträhne aus dem Gesicht. »Das ist doch toll«, sagte ich warmherzig. Ich schob ihr eine Tasse Tee hin und setzte mich neben sie. »Andere Ehepaare streiten sich oder öden sich an.«
    »Echt? Ihr etwa auch?!« Ein kleiner Funke glomm in ihren verweinten Augen auf.
    »Na ja, nicht WIR . Aber viele.«
    »Ihr seid immer noch glücklich verheiratet, oder?«
    »Sieht man das denn nicht?« Ich rührte in meiner Teetasse. »Ja, wir sind glücklich. Aber ihr doch auch!«
    »Wir sehen uns jetzt nicht mehr …« Lisa schnäuzte sich geräuschvoll die Nase. » VIER Monate!« Sie weinte schon wieder. »Du bist so lieb zu mir. Ich habe dich gar nicht verdient, Barbara!« Ihre Stimme klang erstickt.
    »Blödsinn. Sei nicht albern. Wenn dein Mann weg ist, hast du wenigstens eine Freundin!« Ich legte beruhigend den Arm um die schmale Gestalt, die von Schluchzern geschüttelt wurde. Als sie mich ansah, war ihr Gesicht von roten Flecken überzogen. Sie wirkte wirklich mitgenommen, die Arme. Irgendwas Tröstendes musste mir doch jetzt über die Lippen kommen! »He, Süße! Sei doch froh, dass du nicht so einen langweiligen Schnarcher neben dir hast! Was glaubst du, wie viele Frauen sich ihren Mann nach Timbuktu wünschen!«
    »Aber du doch nicht?« Sie wandte mir ungläubig das Gesicht zu.
    »Nein, zufällig kann ich meinen Mann noch richtig gut riechen.«
    Mist, das war das Falsche. Sie schluchzte schon wieder.
    »Das hält die Liebe

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