Der Überraschungsmann
Vielleicht würden sie mich gar nicht zu ihr hi neinlassen, wenn ich etwas anderes behauptete! Außerdem kam es altersmäßig ja wirklich knapp hin. Ich hatte kein Problem damit.
»Ja.«
»Bitte folgen Sie mir.« Die Schwester eilte vor mir her, klopfte leise an die Tür, öffnete sie einen Spalt und wich dann zurück. »Es ist gerade ein Arzt bei ihr.«
»Dann warte ich. – Danke, Schwester.«
Auf leisen Sohlen schlich ich in den Wartebereich und ließ mich auf einer Holzbank nieder. Immerhin war es ein Einzelzimmer. Lisa war offensichtlich privat versichert. Sven hatte gut für sie vorgesorgt. Wie hatte Lisa noch gesagt? Ich will einen Mann, der mich versorgen kann! Ich starrte auf das Aquarium, in dem Goldfische in einer grünlichen Brühe hin und her schwammen. Jetzt hörte ich leise Stimmen und Schritte aus Lisas Zimmer. Endlich ging die Tür auf, und der Arzt huschte hinaus. Sein weißer Kittel wehte hinter ihm her, als er eilig in Richtung Ausgang strebte.
Aber das war doch …
»Volker!?«
Ich sprang auf, lief einige Schritte hinter ihm her.
Volker fuhr herum. »Barbara! Was machst du hier!«
»Ich wollte nach Lisa sehen! Ist alles gut?!«
Er trat einen Schritt zurück, fasste sich und nickte. »Ja, alles gut. Sie konnten die Blutungen stoppen.« Er fuhr sich über die Stirn. »Das war knapp.«
Mir entfuhr ein erleichterter Seufzer. »Kind noch drin?!«
Er nickte lächelnd, Schweißperlen standen ihm auf der Stirn. »Kind noch drin.«
Ich umarmte ihn impulsiv und drückte ihn heftig an mich.
»Wie lieb von dir, dass du nach ihr gesehen hast!«
»Das ist doch meine Pflicht als Arzt.«
»Du hast mich ganz schön erschreckt, als du heute Nacht so teilnahmslos warst!«
»Das war ich nicht. Aber ich bin kein Fachmann, weißt du! Man muss in solchen Fällen die Ruhe bewahren und das Richtige tun.« Er legte zwei Finger unter mein Kinn und sah mir eindringlich in die Augen: »Drück jetzt nicht auf die Tränendrüse oder so. Beunruhige sie nicht. Sie weint sowieso.«
»Warum denn nur? Wenn alles gut gegangen ist?«
»Sie war heute Nacht drauf und dran …« Volker sah sich um, ob auch niemand mithörte, und zog mich verschwörerisch in die Ecke mit dem trüben Aquarium.
»Ich weiß nicht, inwieweit ich dich einweihen darf …«
Mir wurde ganz weich in den Knien. »Einweihen – in was denn?« Das klang ja gar nicht gut. Plötzlich wurde mir ganz mulmig zumute.
»Sie war heute Nacht drauf und dran …« Volker sah sich ängstlich um.
»Was denn, Volker, um Gottes willen? Wollte sie sich was antun?«
Manchmal beliebte Volker ja zu scherzen, von wegen: »Du musst jetzt ganz stark sein« oder so. Aber in so einer Situation würde er doch nicht … Auf Lisas Kosten würde er doch keinen seiner makabren Späße machen? Schweigend starrte ich ihn an. Die Spannung wurde unerträglich.
»Volker? Sie wollte sich doch nichts antun?« Meine Frage hallte von den Wänden des Wartebereichs wider.
Volker zögerte, dann brach es aus ihm heraus: »Sie wollte das Kind nicht mehr.«
Meine Knie wurden weich, ich musste mich setzen. »Wie meinst du das?«
»Sie hat da was genommen. So ein starkes Abführmittel …«
Das war jetzt aber ein sehr geschmackloser Scherz, oder?
»Sie hat ein Abführmittel genommen? Um das Kind loszuwerden?« Ich sprang auf, und mir wurde schwarz vor Augen. »Volker, sag, dass das nicht wahr ist.«
Volker rieb sich den Nacken. »Eigentlich fällt das alles unter die ärztliche Schweigepflicht. Ich darf dir das gar nicht sagen.« Er hob die Hände wie jemand, dem jetzt sowieso schon alles egal ist.
»Aber Volker!« Ich schüttelte seinen Arm und versuchte, nicht zu schreien. »Sie ist unsere Nachbarin! Unsere Freundin! Sven hat sie uns anvertraut! Ich muss doch wissen, was los ist!«
Volker presste die Lippen zusammen. Seine Augen waren ganz schmal. »Tja, dieser Sven, weißt du …« Er zog sich einen Stuhl heran und betrachtete mich besorgt.
Inzwischen liefen mir die Tränen über die Wangen. »Was ist mit Sven?«
»Also gut. Aber du weißt es offiziell nicht, hörst du?« Skeptisch zog ich eine Braue hoch, wischte mir mit beiden Daumen die Tränen aus den Augenwinkeln.
»Sie hat plötzlich Zweifel bekommen, ob sie das alles schafft mit dem Kind …«
Ich verstand nicht. »Aber warum denn?! Sie hat sich doch so gefreut!«
»Sie hat sich wohl überschätzt.« Volker rieb sich die Schläfen. Dann fügte er hinzu:
»Und sie weiß auch nicht, ob das alles gut geht mit diesem
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