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Der Überraschungsmann

Titel: Der Überraschungsmann Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hera Lind
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lebendig«, versuchte ich es erneut. »So eine vorübergehende Trennung.«
    Was faselte ich denn da? Eigentlich fand ich es grässlich, dass sie ihren Sven jetzt vier ganze Monate nicht sehen würde. Einen ganzen Sommer lang! So frisch verheiratet und schwanger wie sie war. Ich hätte mir selbst eine kleben können. Ich nahm ihr den Würfelzucker ab und warf zwei Stück davon in ihre Tasse. Wie bei einem kranken Kind rührte ich ihren Tee um und konnte mich gerade noch beherrschen, nicht hineinzupusten. »Trink, los! Das wirkt Wunder.«
    Lisa hob die Tasse und wärmte ihre Hand daran. »Meinst du, er betrügt mich?«
    »Quatsch.« Ich nahm einen so großen Schluck von meinem eigenen Tee, dass ich mir die Zunge verbrannte.
    »Der liebt dich. Über alles.«
    Sie stellte ihre Tasse wieder ab. «Meinst du wirklich?«
    »Ja! Allein schon, wie verliebt der dich immer angeschaut hat, wenn ihr hier wart. Der konnte ja gar nicht die Augen von dir lassen. Und wie unglaublich stolz er auf dich war bei der Premiere von Così fan tutte . Der hatte Tränen in den Augen, als du die stehenden Ovationen bekamst. Und wie er dir die Rosen auf die Bühne geworfen hat! Und dann die verstohlenen Kusshände …«
    Ein scheues Grinsen erschien auf ihrem blassen, unausgeschlafenen Gesicht: »Da hast du uns aber genau beobachtet.«
    Sie wischte sich mit dem Handrücken über die Nase wie mein Paulinchen, und ich reichte ihr unauffällig ein Taschentuch. »Na ja, man freut sich doch irgendwie an einem so jungen Glück.«
    »Du bist wirklich unglaublich nett.« Lisa legte ihre Hand auf die meine. »Ich bin so froh, dass ich dich zur Nachbarin und Freundin habe.« Sie schnäuzte sich geräuschvoll in das Taschentuch und ließ es im Ärmel ihres Jogginganzugs verschwinden.
    Geschmeichelt lehnte ich mich zurück. »Fast könnte ich deine Mutter sein.«
    »Du bist sogar ein Jahr älter als meine Mutter«, sagte Lisa, und ein letzter kleiner Schluchzer bahnte sich seinen Weg nach draußen. Sie weint genauso entzückend wie Paulinchen, dachte ich gerührt.
    »Dann hat deine Mutter dich mit siebzehn bekommen?«
    »Ja. Das ist so bei uns im Tal. Da geht das schnell.« Sie grinste. »Meine Mutter war immer auf Hochzeiten und Volksfesten mit ihrem Dreigesang unterwegs, da hat sie den Sepp getroffen. Der spielte Geige und ist dann mein Vater geworden.«
    »Und? Wie ist deine Mutter? Habt ihr ein gutes Verhältnis?« Wir hatten noch nie darüber gesprochen. Fast spürte ich einen kleinen eifersüchtigen Stich. Wie albern, dachte ich. Ich habe doch selbst zwei entzückende Töchter.
    »Sie ist … ganz anders als du. Ein bisschen altbacken. Also nicht besonders cool. Du siehst übrigens viel jünger aus. Sie ist … eine einfache Landfrau, macht sich nicht besonders schick oder so. Ich hab ja auch noch sechs jüngere Geschwister.«
    Sechs jüngere Geschwister! Donnerwetter! Hut ab vor dieser Landfrau. Sieben Kinder, und das alles neben der Land- und Hausarbeit. Dem Kühemelken, Schafescheren und was weiß ich, was solche Bauersfrauen in den entlegenen Tälern Tirols noch so alles tun müssen. Auf einmal betrachtete ich Lisa mit ganz anderen Augen.
    »Bist du deshalb so früh von zu Hause abgehauen und auf Schiffen rumgetingelt?«
    »Ja. Ich wollte raus aus dem engen Tal. Ich wollte die Welt sehen. Na ja, und das hab ich ja auch …« Sie lächelte versonnen, und ihre Augen schwammen schon wieder in Tränen. »Ich war in der Karibik, in der Südsee, in Australien und Neuseeland …«
    »Freust du dich denn nicht über die Schwangerschaft? Ist es vielleicht noch zu früh?« Jetzt kam ich mir aber wirklich vor wie eine Tante vom Sozialamt.
    »Doch!« Das kam wie aus der Pistole geschossen. »Ich habe mir ein Kind gewünscht! Er ist ja viel älter als ich, trotzdem wünsche ich mir ein Zuhause!«
    »Da hast du dir wirklich einen viel älteren Mann gesucht.« Ich kratzte mich an der Nase, um jetzt bloß nicht das Falsche zu sagen. »Ich meine, er könnte ja fast dein Vater sein.«
    »Quatsch!«, gab Lisa mit kaum verhohlener Empörung zurück. »Ich steh halt einfach nicht auf grüne Buben. Ich wollte einen Mann, der mir auch was bieten kann.«
    »Für Sven wird es jedenfalls höchste Zeit, dass er Vater wird.« Ich nahm einen Schluck Tee.
    »Sven?«, fragte Lisa, als sei sie mit den Gedanken ganz woanders gewesen.
    »Ja, natürlich. Hatte er … ähm … viele … Bei seinem Beruf, meine ich, also da kommt er ja viel rum und so in seiner schmucken Uniform …«

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