Der übersehene Mann: Roman
dir doch immer gerne.«
Drei Wochen waren seit der Begegnung mit Miss Devine vergangen und zwanzig Tage seit dem Telefonanruf in ihrem Haus. Der Anruf, bei dem er brüsk von einer fremden Frau vor den Kopf gestoßen worden war. Er hatte daraus geschlossen, dass Miss Devine nicht ehrlich mit ihm gewesen war. Sie hatte ihm eine falsche Nummer gegeben, um ihn loszuwerden.
»Jamie, es is nich gut für dich, wenn du den ganzen Tag im Bett liegen bleibst.«
Paddy schüttelte eine Zigarette aus der Packung, steckte sie in den Mundwinkel und reichte seinem Freund eine.
»Im Fluss schwimmen noch mehr Forellen, weißt du. Du könntest doch auf eine andere Anzeige antworten. Schaden kann’s doch nich, oder?«
»Nee, Paddy, das Ganze nochmal durchstehen? Das könnt ich nich.« Jamie setzte sich auf und zog an der Zigarette. »Sie und ich, wir sind so gut zurechtgekommen, ich kann mir nich vorstellen, dass ich noch mal so eine treffe.«
Seit dem Anruf bei Lydia, als er von der rüden Frau zurechtgewiesen worden war, hatte er die ganze Welt für sein Scheitern verantwortlich gemacht. Am meisten aber Gott und das vermaledeite Toupet. Er sagte seine Gebete nicht mehr. Das Haarteil hatte er ins Feuer geworfen und zugesehen, wie es geschmolzen und geschrumpft, schließlich zu Asche geworden und durch den Schornstein verschwunden war.
Er aß nichts, dafür trank er umso mehr. Er hatte sich auch nicht mehr um die Tiere gekümmert, bis Paddy eingeschritten war.
»Rose hat einen Termin für dich bei Dr. Brewster gemacht, Jamie.«
»Ich geh nich in die Nähe von irgendeinem Arzt, Paddy.«
»Aber Jamie, es dauert doch nur ... ’ne Stunde oder so. Rose hat mich geschickt ... sie hat mich geschickt ... damit ich dich zu ihm fahre. Und sie sagt ... sie sagt, wenn du nich hingehst, bringt sie den Arzt dazu, dass er hierherkommt.«
Paddy rauchte. Jamie war alarmiert.
»Ich denke mir, dass du nich willst, dass der Doktor hier zu dir nach Hause kommt und dich hier im Bett liegen sieht und dann das alles hier ...«
Paddy sah sich bedeutungsvoll im Zimmer um, das von Jamies Abscheu vor Ordnung und Sauberkeit zeugte. Der Boden war mit Staubmäusen, Hühnerfedern, Brotkrümeln und Knochen übersät – letztere hatte Shep ins Zimmer geschleppt, um darauf herumzukauen. Unter dem Bett stapelten sich Stiefel, einzelne Schuhe, Socken, zerdrückte Guinness-Dosen, zwei leere John-Powers-Whiskeyflaschen und unzählige Gallaghers-Green-Zigarettenpackungen.
Auf dem Tisch neben dem Bett standen eine Untertasse und eine Schüssel, die Jamie beide als Aschenbecher dienten; der Tisch und alles, was darauf lag, war mit Asche überzogen. Jamie schien eine ganze Menge Sachen im Bett zu brauchen: eine Zuckertüte, aus der ein Löffel herausragte, eine Flasche Hustensirup von Dr. Clegg, eine Packung Kopfschmerztabletten, ein Kobold, dessen Bauch als Wecker diente und den er in Portaluce gekauft hatte, eine angeschlagene Tasse, in der ein Schraubenschlüssel und eine kleine Wasserwaage steckten. Über derTasse hing ein Rosenkranz mit Holzperlen, davor stand eine Gipsfigur des heiligen Judas und auf der großen um den Fuß herumlaufenden Inschrift war zu lesen:
Schutzheiliger der hoffnungslosen Fälle
.
»Tja, da hast du wohl recht«, stimmte ihm Jamie widerwillig zu. Es schien keinen Ausweg zu geben, er musste zum Arzt gehen.
»Du hast bestimmt wieder so eine winzig kleine Depperession, was ja auch klar is, so wie die Frau mit dir umgesprungen is.«
»Du brauchst jetzt nichts mehr zu sagen, Paddy. Ich hab nie gedacht, dass es so schlimm sein kann.«
Jamie strich sich mit der Hand über den kahlen Schädel, als erinnere er sich daran, was für ein Opfer er gebracht hatte. Seine Kopfhaut war noch immer rot und vernarbt von dem Toupet-Klebstoff, und noch beschämender war, dass er die Auswirkungen seiner Torheit nicht verbergen konnte. Die Haarsträhnen zum Hinüberkämmen gab es nicht mehr. Ein weiterer Grund, warum er sich nicht bei seinen Freunden in der Kneipe sehen ließ. Er konnte doch keine dreckige alte Kappe am Samstag abend tragen, wenn alle anderen sich gut anzogen, und zur Messe genauso wenig, falls er in der Stimmung gewesen wäre, sonntags in die Kirche zu gehen.
Paddy stand auf.
»Ich sammel jetzt die Eier ein und fütter die Tiere, und wenn ich zurück komme, bist du fertig und wir fahren los, ja?«
»Tja, wie’s aussieht, hab ich gar keine Wahl.« Jamie gähnte und rieb sich die Augen.
Shep folgte Paddy mit tapsenden Pfoten übers
Weitere Kostenlose Bücher