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Der übersehene Mann: Roman

Der übersehene Mann: Roman

Titel: Der übersehene Mann: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christina McKenna
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Kartoffelbrot, Eiern und Schinken. Sie hatte Jamie seit dem Ereignis im Hotel nicht mehr wiedergesehen und war entsetzt über den Anblick, der sich ihr bot.
    »Gott, Jamie, du siehst ja sowas von gar nich gut aus!«, rief sie erschrocken.
    Jamie stand mit der Kappe in der Hand in der Tür. Plötzlich erinnerte er sich mit qualvoller Klarheit, dass es Rose gewesen war, die alles getan hatte, damit er die geheimnisvolle Frau traf. Und dass es letzten Endes alles umsonst gewesen war.
    Er konnte nichts sagen, und deswegen tat er etwas, was er seit seiner Kindheit in Anwesenheit eines Erwachsenen nicht mehr getan hatte. Er brach weinend zusammen.
    »Aber, aber, Jamie, du Ärmster.«
    Rose lief schnell zu ihm, nahm ihn beim Arm und führte ihn zu einem Sessel.
    »Setz dich, ich mach dir eine schöne Tasse Tee.« Sie signalisierte Paddy, den Kessel aufs Feuer zu stellen, und nahm die Bratpfanne von der heißen Platte.
    »Dir geht’s schlecht, weil du beim Arzt warst, Jamie«, sagte sie verständnisvoll. »Meine Güte, wer geht schon gern zum Arzt. Was die sich auch alles anhören müssen!«
    Aus ihrer Schürzentasche zauberte sie ein Taschentuch hervor und reichte es Jamie. Er wischte sich die Augen trocken, konnte sie abernicht ansehen. Die Scham über seine Tränen versetzte ihn zurück an den dunkelsten Ort seines Lebens. Einen Ort, von dem er nicht flüchten konnte. Jedes Mal, wenn er gescheitert war, war er ihm ein kleines Stückchen nähergekommen. Und jetzt konnte er keinen Widerstand mehr mobilisieren.
    »Nein, am Doktor liegt es nich, Rose«, sagte er schließlich. »Es ist einfach alles. Ich will nich mehr leben. Ich habs satt. Mir gelingt einfach nichts.«
    »Aber, aber, Jamie, alles lässt sich irgendwie hinkriegen.«
    Sie zog den bestickten Hocker heran, setzte sich auf die Kuppe des Mount Errigal und legte Jamie die Hände auf die Knie. Aus der Küche hörten sie Paddy Tee machen.
    »Nichts is so schlimm, wie’s aussieht, Jamie. Jeder kriegt mal so ’ne olle Degression. Aber wir haben doch Gott und die Tabletten, zum Segen. Weißte, als ich neunzehnhundertzweiundsechzig die Fehlgeburt hatte, wollte ich mich auch umbringen. Mein Paddy kann’s dir erzählen, um ein Haar hätte ich ihn auch umgebracht. Ich war so schlecht drauf, du kannst es dir nich vorstellen. Stimmt’s etwa nich, Paddy?« Rose hob die Stimme, als Paddy mit einem klirrenden Tablett mit Tassen und allen möglichen guten Sachen hereinkam.
    »Ja, das stimmt, Jamie. Sie war wie der Teufel in Person.«
    Rose reichte Jamie ihr Allheilmittel – einen Becher Tee.
    »Nun trink das erst mal, Jamie, und dann geht es dir schon viel besser. Und weißte, Jamie, es is noch nich aller Tage Abend. Was die Dame angeht, meine ich. Ich hab lange gesessen und ’ne harte Nuss ausgeknackt. Vielleicht haste nur die falsche Nummer gewählt. Vielleicht haste in der Aufregung die Zahlen vertauscht. Und vielleicht – Gott hilf uns – hat se sich auch einen ganzen Stall Männer angeguckt und hat sich nich richtig an dich erinnert, Jamie. Dann wärst du der falsch gemerkte Mann, und sie sitzt neben dem Telefon und wartet, dass du endlich anrufst, und fragt sich, was eigentlich los is.«
    »Tja, vielleicht. Vielleicht auch nich. Woher soll ich das wissen, Rose?«
    »Paddy, bring doch mal den Teller mit den Kokosmakronen, die ich heute Morgen für unseren Jamie gemacht hab.«
    »Also, wenn du mir die Nummer gibst, dann ruf ich da an und finde raus, was los is. Denn in meinen Augen war Miss Devine wirklich eine feine Dame. Ich kann mir nich vorstellen, dass sie irgendwas tut, um dich zu beleidigen. Und du weißt doch, wie man so schön sagt, Jamie: Wenn du dem Wolf ’n Schafspelz überstreifst, dann bleibt er doch ’n Wolf. Na ja, Lydeea hat jetzt kein Schafspelz getragen, eher so glatte Baumwolle, um der Wahrheit die Ehre zu geben, aber Wolf bleibt Wolf, und sie is kein Wolf, Jamie. Sie is eine richtige Lady.«
    »Aber Rose, ich kann mich jetzt sowieso nich sehen lassen vor ihr, so ohne Haare.« Jamie fing wieder an zu weinen und dachte daran, wie lange es wohl dauern würde, bis seine Haare wieder lang genug zum Drüber kämmen wären. »Sie würde mich doch jetzt, so wie ich aussehe, gar nich angucken.« Er biss in eine Makrone und Kokosraspeln rieselten wie Schnee auf sein Hemd herab.
    »Aber Jamie, was zählt, is das Herz, nich der Kopf.« Sie tätschelte seine Knie. »Selbst ein Blinder mit Krückstock würde gar nich merken, dass was mit deinen Haaren nich

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