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Der übersehene Mann: Roman

Der übersehene Mann: Roman

Titel: Der übersehene Mann: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christina McKenna
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ließ. Denn tief im Innern sahen beide die eheliche Verbindung als höchste Auszeichnung einer Frau an. Und wenn auch nur wegen der gesellschaftlichen Anerkennung, die mit ihr verbunden war. Für Daphne und Lydia war der goldene Ehering wie ein Ehrenabzeichen, das sie sich ebenso sehnlich wünschten wie die junge Kellnerin neben ihnen, deren mädchenhafte Träume sich in ihrer Verzückung spiegelten.
    Bei Daphne hatte dieser Wunsch nach einer Verbindung dazu geführt, dass sie Männer als überlegene Wesen ansah, so mangelhaft sie auch sein mochten; diese Vorstellung zersetzte ihr Urteilsvermögen und ließ sie unendlich flexibel und tolerant werden. Sie hatte zehn Jahre Umwerbung eines Mannes ertragen, der nur wenig Interesse an der Ehe zeigte, und der seine Mutter als Entschuldigung vorschob, sich nicht binden zu können. Daphne fügte sich in diese unglückliche Situation, weil ein männerloser Zustand für sie undenkbar war. Besser in festen Händen und unglücklich als ohne Mann und traurig – wie Lydia.
    Arme Lydia, sinnierte sie, denn wenn sie ehrlich war, bemitleidete sie ihre Freundin. »Arme« Lydia – sie dachte nur selten an sie ohne dieses negative Vorzeichen. Ihre Verbindung mit dem willensschwachen John hatte ihr einen Vorsprung in einem Rennen gesichert, in dem die arme Lydia noch nicht einmal gestartet war. Wie sich alles seit ihren Schultagen verändert hatte! Damals hatte es »kluge« Lydia geheißen, die ihr immer in allen Fächern voraus gewesen war, die Schlaue, die die Examen mit links gemacht hatte, um einen der begehrten Plätze an der Pädagogischen Hochschule zu ergattern, während Daphne, ausgebremst durch ein abträgliches Familienleben – mit einem Alkoholiker als Vater und einer überarbeiteten Mutter – sich mit Wiederholungsklausuren und Ablehnungsbescheiden herumschlagen musste.
    Wenn Daphne einmal zu Lydia aufgeschaut hatte, so hatte sich das Verhältnis jetzt umgedreht. Nun war es Lydia, die Daphne bewunderte und selbst so wie sie sein wollte. Daphne sann oft mit einer gewissen Befriedigung über die Umkehrung dieser Rollen nach, die nicht so gut zu der Vertrauten und Freundin, als die sie sich ausgab, passte.
    Sie vertiefte sich ganz in den Anblick der Hochzeit, die drüben stattfand, und dachte mit einer selbstgefälligen Zuversicht, dass auch sie eines Tages ganz in Weiß diese Stufen emporsteigen würde, ihre Freundin das aber niemals schaffen würde.
    Die Braut war mit ihrem Vater in der Kirche verschwunden, gefolgt von einer bunten Schar von Gästen, die Damen in hauchdünnen Kleidern unter weiten Hüten, während die Herren an diesem warmen Tag in ihren Anzügen litten, denn sie waren gezwungen, die Kleiderordnung zu wahren. Seufzend machte sich die Kellnerin wieder an die Arbeit und die Damen wandten sich ihren Tellern zu.
    »Ich liebe Hochzeiten.« Daphne schenkte ihnen Tee nach. »Ich freue mich so auf die von Heather, du nicht auch?«
    »Na ja, mir wäre wohler, wenn ich wüsste, mit wem ich dort hingehe.« Lydia hielt die beiden Briefe hoch. »Genau: Fragen stellen. Was sollte ich noch mal in Erfahrung bringen?«
    »Ach so, warte mal.« Sie überflog die Briefe. »Jetzt weiß ichs wieder. Mr McPrunty: frag ihn, wie alt er ist und ob er schon einmal verheiratet war. Und Mr McCloone, was er kocht und liest.«
    »Das ist alles?«
    »Ja, das wärs fürs Erste. Außerdem kommen dir beim Schreiben bestimmt noch viel interessantere Fragen in den Sinn.« Daphne sah auf die Uhr. »Gut, ich hab noch Zeit für einen Nachtisch.«
    Lydia lächelte und steckte die Briefe in die Handtasche. »Weißt du, meine Liebe, du hättest entweder Detektiv oder Kummerkastentante werden sollen.« Sie tat, als salutiere sie.
    »Das Vergnügen ist ganz meinerseits. Komm, nun, wo das Problem gelöst ist, bestellen wir uns zur Feier des Tages Eis.«

13
    Schwester Bernadette schritt im trüben Morgennebel neben ihren Schutzbefohlenen her, wobei sich ihr Habit immer wieder wie ein Ballonsegel im Wind aufblähte. In ihrem Kopf spulten sich nur die dunkelsten Gedanken ab. Sie lebte an diesem Tag wie in ihrem ganzen Leben: beschränkt auf die engen Grenzen ihres unbarmherzigen Selbst. Sie war gewalttätig und weidete sich an Schmerzen, an schreienden Mündern, tränenden Augen, an den verkrampften kleinen Körpern unter ihren erbarmungslosen Peitschenhieben.
    Sie betraten einen langen Tunnel und kamen schließlich auf einen kleinen Platz. Schwester Bernadette pfiff noch einmal, und die Kinder blieben

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