Der übersehene Mann: Roman
ihn werfen wollen. Jamie wurde klar, dass drastische Maßnahmen angezeigt waren, bevor er vorzeigbar war. Schließlich hatte Rose gesagt, ein ordentlicher Anzug und ein gutes Hemd könnten einen Mann weit bringen. Doch er spürte, dass er noch deutlich mehr tun müsste, wenn er eine Frau erobern wollte.
Als er dort in dem schwindenden Licht stand, war er gar nicht begeistert von seinem Spiegelbild. Auch wenn er bedachte, dass die schmuddelige lange Unterhose, aus der seine dreckigen Füße hervorschauten, seine Erscheinung nicht gerade aufwerteten, blieb es einfach dabei, dass er etwas übergewichtig und vorzeitig kahl geworden war. Sein Gesicht erinnerte ihn an eine Kartoffel, die zu lange im Keller gelagert worden war. Aber was konnte er dagegen tun?
Er stellte den zerbrochenen Spiegel aufs Fensterbrett und trat zurück, um sich noch etwas genauer in Augenschein zu nehmen. Er wandte sich von einer Seite zur anderen, holte tief Luft, zog den Bauch ein und richtete sich auf – und war sofort überrascht, was für einen großen Unterschied das machte.
Aber was sollte es? Er konnte ja schlecht während des ganzen Treffens mit dieser Frau den Bauch einziehen, die Luft anhalten und die Hinterbacken anspannen. Der Gedanke schreckte Jamie, er seufzte, ließ wie üblich die Schultern hängen und starrte sich niedergeschlagen an.
Er war einundvierzig, aber aufgrund seines Lebensstils und seiner Einstellung wirkte er wie einundsechzig. Und er konnte nichts dagegen tun – oder? Er erinnerte sich daran, dass Dr. Brewster ihm wiederholt dazu geraten hatte abzunehmen.
»Ihr Blutdruck ist viel zu hoch, James, das setzt ihr Herz unter Druck, und Sie wollen doch in Ihrem Alter keinen Schlaganfall oder Herzinfarkt erleiden. Weniger in Fett Gebratenes, weniger Zigaretten, das ist mein Rat.«
Aber wie sollte er das schaffen? Jamie dachte an die schwere Eisenpfanne, die von Generation zu Generation gereicht worden war, er dachte daran, wie gerne er den Würstchen beim Bräunen zusah und wie sich der Speck im heißen Fett der Pfanne zusammenzog. Er wusste nicht, wie viele fetttriefende Mahlzeiten in dieser Pfanne zubereitet worden waren und wie viele sie das Leben gekostet hatte. So viele männliche McCloones waren aufgrund ihrer verstopften Arterien und beschleunigten Herzschläge mit Schlaganfällen und Aneurysmen verfrüht ins Grab gesunken – in Unkenntnis der Tatsache, dass sie das dem fetten Essen zu verdanken hatten.
Dr. Brewster hatte ihm ein Papier zugeschoben. »Hier ist ein Diätplan und einige Hinweise. Drei Wochen durchhalten und sie fühlen sich wie neugeboren.«
Jamie hatte den Plan mitgenommen, sich aber nicht an den Rat gehalten. Da er nicht viel vom Leben hatte, hatte er auch keinen Ansporn, es zu verlängern. Und wenn man nichts Fettes mehr essen, keine Zigaretten mehr rauchen und auch nichts mehr trinken durfte, warum sollte man dann am Morgen überhaupt aus dem Bett steigen?
»Ja, aber jetzt hast du einen Grund«, flüsterte ihm eine leise Stimme ins Ohr. »Dein ganzes Leben könnte sich zum Guten wenden. Es liegt nur an dir.«
In dem Moment bereute er, dass er dem Rat des Arztes nicht schon längst gefolgt war. Aber vielleicht war es noch nicht zu spät.
Beflügelt lief er zum Glasschrank und kramte den Diätplan unter einem Haufen von Rechnungen, Gutscheinen, Steuerbescheiden, Gemeinde nachrichten und monatlichen Quittungen der St.-Brigids-Gemeinde aus der Schublade hervor. Er zündete die Öllampe an und begann, sich die beeindruckende Anleitung durchzulesen.
Frühstück
Ein gekochtes Ei, zwei dünn gebutterte Toastscheiben, eine Tasse Tee mit Milch und einem Löffel Zucker (wenn es sein muss).
Mittagessen
Huhn, Fisch oder rotes Fleisch, vorzugsweise gegrillt, gekocht oder gedünstet, mit frischen Gemüsen. Eine Kartoffel (keine Butter). Kein Pudding.
Abendessen
Wie Mittagessen, gefolgt von frischem Obst. Alkohol streng rationiert. Weder Brötchen noch Kekse oder Kuchen, keine zuckerhaltigen Speisen. Wenn Sie sich drei Wochen nach diesem Plan richten, nehmen Sie zehn bis zwölf Pfund ab, je nachdem, wie konsequent Sie sind.
Und Dr. Brewster hatte handschriftlich im Scherz hinzugefügt:
Nur Schwache, Faule und Schlappe können sich nicht an diese Diät halten. Also fragen Sie sich selbst: Bin ich ein Mann/eine Frau oder eine Maus? (Nichtzutreffendes streichen)
Jamie löschte die Lampe, legte sich ins Bett und dachte: Kein Mann darf mich eine Maus nennen. Nicht einmal Dr. Brewster. Und im
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