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Der übersehene Mann: Roman

Der übersehene Mann: Roman

Titel: Der übersehene Mann: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christina McKenna
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doppelten Brandy hin, damit der sich wieder abkühlte.
    Jamie nahm einen großen Schluck. Die Nacht war so großartig gewesen, bis Sproule sie kaputt gemacht hatte, und bei dem Gedanken musste er fast weinen. Wie gut war alles gegangen – und wie schnell hatte dieser Rabauke das mit seinem Geschrei zunichtegemacht.
    »Du hast toll gespielt, Jamie«, sagte Paddy zum Trost.
    »Weißte, wenn dieser Lümmel dir nichts zugerufen hätte ... und du ihm keine reinhauen gemusst hättest, dann wäre es ein wirklich super Abend geworden«, wagte Matty sich vor.
    Declan Colt, der dem Trio von der Bühne hinunter zugesehen hatte, bemerkte Jamies Niedergeschlagenheit und lief glitzernd und schimmernd auf das Mikro zu.
    »Nun hört mal alle her!«, befahl er den Leuten im Raum. »Jamie hat einen großen Applaus verdient. Ich hab selten so ’n gutes Akkordeon gehört wie heute Abend!«
    Die Leute standen auf und applaudierten, und Jamie strahlte über das ganze Gesicht und hob sein Glas Brandy zum Toast. Vor seinem inneren Auge sah er seinen Onkel, wie er ihm die Finger über die Elfenbeinknöpfe führte, als er zwölf Jahre alt war. Und spürte wieder die Welle von Glück, die ihn ergriffen hatte, als er merkte, dass er auf dem Instrument eine andere Sprache sprechen konnte als die seines gequälten, verstummten Selbst. All die Mühe hatte sich gelohnt; es war ein Triumph für James McCloone, der Mann zu sein, der bei O’Shea auf einem Barhocker saß und den Leuten mit seinem satten und mitreißenden Spiel einheizte und sie zum Klatschen und Mitsingen brachte.
    Als er sah, wie ihm die Leute Beifall spendeten, spürte Jamie, dass er etwas wert war, jedenfalls in diesem Augenblick, und dass die Menschen von Tailorstown hinter ihm standen. Aber er fürchtete sich vor dem Moment, in dem die Hochstimmung verflogen war und ihn der hässliche Zusammenstoß mit Sproule wieder einholen würde.

15
    Lydia las den Brief von Frank McPrunty noch einmal in der relativen Ungestörtheit ihres Schlafzimmers durch. Mit dem Rücken lehnte sie an der geschlossenen Tür, nur für alle Fälle. In zwei Stunden sollte sie sich mit ihm treffen und bis dahin wollte sie sich seine persönlichen Umstände noch einmal vor Augen führen.
    Als Lehrerin näherte sich Lydia den meisten Dingen des Lebens mit einem analytischen Verstand. Frank McPrunty war ein Projekt, sein Brief eine Klassenarbeit. Sie musste ihn noch einmal gründlich durchsehen, bevor sie entscheiden konnte, ob er durchgefallen war oder bestanden hatte.
    Liebe Miss Devine,
    ich habe mich außerordentlich gefreut, Ihren liebenswürdigen Brief zu erhalten, und fühle mich zutiefst geehrt, dass Sie sich für meine Wenigkeit interessieren. Ich hoffe, dass meine Antworten auf Ihre Fragen Ihren Erwartungen entsprechen.
    Ich bin einundsechzig Jahre alt, doch man sagt mir, ich würde zehn Jahre jünger aussehen. Dieses jugendliche Aussehen bewahre ich durch das disziplinierte Einhalteneiner Diät und Bewegung. Ich versuche mich gesund zu ernähren und gehe viel mit meinem Hund Snoop spazieren, wie ich Ihnen wohl schon geschrieben habe.
    Nein, ich war noch nie verheiratet. Auch wenn es nicht daran gelegen hat, dass mir die Gelegenheiten gefehlt hätten. Im Nachhinein wird mir deutlich, dass ich wahrscheinlich zu vorsichtig und zu schwer zufriedenzustellen gewesen bin. Wenn wir jung sind, meinen wir, alle Zeit der Welt zu haben, dabei haben wir nur sehr wenig, wie ich jetzt zu meinen Ungunsten feststellen muss.
    Sie haben mich gefragt, wonach ich in einer Frau suche, und ich werde ehrlich sein. Vor allem brauche ich Gesellschaft. Ich könnte in Hinblick auf diese äußerst wichtige Frage noch mehr schreiben, doch bin ich der Ansicht, dass man solche Dinge besser unter vier Augen bespricht. Worte stehen manchmal auf einer blendend weißen Seite so unpersönlich und herzlos da.
    Zu diesem Zweck, Miss Devine, und bitte entschuldigen Sie meinen Vorstoß, halte ich es für angeraten, dass wir uns kennenlernen sollten. Ich werde zwischen vier und fünf Uhr nachmittags am Donnerstag, dem 7. August, im Chestnut Inn Hotel auf der Landstraße nach Killoran sein und Sie in der Lounge erwarten.
    Ich trage dann einen dunkelblauen Blazer, eine graue Hose und eine rote Krawatte. Auf dem Tisch liegt meine Rolleiflex. Meine Kamera ist teuer und wird sonst hauptsächlich von professionellen Photografen benutzt
[Lydia schnalzte mit der Zunge, weil der Eisenwarenhändleruneinheitlich mit f und ph schrieb],
sodass ich sie

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