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Der übersehene Mann: Roman

Der übersehene Mann: Roman

Titel: Der übersehene Mann: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christina McKenna
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Peggy?«, begrüßte Jamie sie knapp. Er hatte das entspannte Stadium des Rausches erreicht, in dem er sich nur ein paar Worte zu sagen getraute, damit er nicht total betrunken wirkte. Das Akkordeon stand zu seinen Füßen. Jamie ölte sich die Kehle bis zu dem Zeitpunkt, wo er es aufheben und im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit stehen würde.
    Peggy sah ihn durch den Wasserdampf an. Ihr gequälter Gesichtsausdruck wich einem widerwilligen Lächeln. »Hältst dich wacker, Jamie?«
    »Ach ja, Peggy, mir geht’s ganz gut.«
    »Spielst du später für uns?«
    Sie strich sich eine Haarsträhne hinters Ohr und sah wieder ins Spülbecken hinab. Die nassen Gläser zum Abtropfen stapelte sie gefährlich hoch aufeinander.
    Jamie sah auf ihren gebeugten Kopf. Ihr strohblondes Haar wurde in der Mitte von einer schnurgeraden blassen Linie gescheitelt.
    »Klar, gleich kannste mich noch hören«, sagte er.
    »Ein Wodka und ’ne Cola!«, unterbrach sie jemand ungehobelt. Chuck Sproule zwängte sich zwischen Jamie und Paddy. Peggy wusch weiter ab und tat, als hätte sie nichts gehört.
    Chuck war ein unberechenbarer Neunzehnjähriger, unstet und unhöflich, ein Aussteiger mit einem toten Vater, einer verzweifelten Mutter und vier wilden Geschwistern, die er bis zur Weißglut reizte. Er hatte fettige Haare und eine unreine Haut, trug eine gammelige Jeans, die sich kaum auf seinem mageren Hintern hielt, und dazu ein eingelaufenes, angegrautes T-Shirt, das ihm viel zu kurz war.
    »Sie ham gehört, was ich bestellt hab, oder etwa nich?«
    Peggy unterbrach ihren Abwasch, trocknete sich langsam die Hände und warf ihm einen wütenden Blick zu.
    »Jamie, hast du gerade einen ungehobelten Rüpel was bestellen hören?«
    Jamie wollte sich nicht mit dem jungen Chuck anlegen. Denn der hatte eine besondere Begabung, auf den Schwächen von Leuten rumzureiten, bis die vor Wut nicht mehr an sich halten konnten. Mit dem fiesen kleinen Arsch wollte er nichts zu tun haben.
    »Ich glaub, er will Wod... Wodkacola, äh, er will ’n Wodka und ’ne Cola, Peggy«, korrigierte Jamie sich schnell.
    »Mann, wenn das nich der olle McCloone is!« Chuck stieß Jamie den Ellenbogen in den Rücken, legte ihm den Arm um die Schulter und kam seinem Gesicht ganz nah. »Bist du jetzt so’n beschissener Übasetzer, oder was?«
    »Reiß dich zusammen, Sproule«, warnte ihn Peggy, »oder ich schmeiße dich raus. Glaub bloß nicht, dass ichs nicht tue!«
    Chuck ließ Jamie sofort los und richtete sich auf. Paddy und Matty untersuchten den Tresen, guckten in ihre Drinks und an die Decke, sahen überall hin, nur nicht zu Peggy. Ihre Freundlichkeit war es nicht gewesen, mit der sie sich ihren Spitznamen eingehandelt hatte. Wer sich mit ihr anlegte, hatte sich geschnitten. Ihre Drohung hatte die ge wünschte Wirkung: Chucks Angeberpose fiel in sich zusammen.
    »Ach, Peggy.«
    »Kein: ›Ach, Peggy‹! Für dich bin ich immer noch Mrs O’Shea!« Sie ließ ihn nicht aus den Augen. »Also, was willst du?«
    »Ein Wodka und ’ne Coke, Mrs O’Shea, bitte.«, sagte er mit kindlicher Fistelstimme und faltete die Hände unter dem Kinn wie ein Messdiener.
    Peggy gab nach, wenn auch nur widerwillig, und stellte ihm die Getränke hin. Auf einmal kam ein ohrenbetäubendes Quietschen aus dem Verstärker, als würde ein Schwein zur Schlachtbank getrieben, kurz darauf ein etwas leiseres Echo.
    »Eins, zwei ... eins, zwei.« Declan & The Silver Bullets machten den Soundcheck. Gleich begann die Show.
    »Declan läuft sich warm«, kommentierte Matty überflüssigerweise. »Kommt, gehn wir rein.«
    Paddy schwankte zur Toilette. Jamie bestellte noch eine Runde.
    Die Lounge hinter der Bar war ein langer rechteckiger Raum mit einer erhöhten Bühne an einem Ende und einer Tanzfläche davor, nicht viel größer als ein Tischtuch. Früher waren hier ein Lager, eine Toilette und ein Kohlenverschlag gewesen, aber Slope hatte erkannt, dass man hier gut etwas zur Unterhaltung errichten konnte. Mit einem nicht unbeträchtlichen Darlehen von der Tailorstown Credit Union (das er immer noch abzahlte) hatte er seine Vorstellungen umgesetzt und aus den drei Räumen einen geschaffen, den er The-Step-Inside-Lounge nannte.
    An den Wänden standen Eisenbahnbänke mit bernsteinfarbenen Bezügen aus einem ausgemusterten Nahverkehrszug von Derry nach Donegal. Slope hatte die aufgearbeiteten Sitzgelegenheiten mit großem Preisnachlass bei einem vom fahrenden Volk aufgetrieben. Vor den Bänken standen kniehohe

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