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Der übersehene Mann: Roman

Der übersehene Mann: Roman

Titel: Der übersehene Mann: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christina McKenna
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länger wir hier sitzen, desto mehr Sorgen machst du dir, das führt doch zu nichts.«
    »Sehe ich gut aus?« Lydia klappte ihr Max-Factor-Puder auf und prüfte ihr Aussehen.
    »Du siehst sehr schön aus«, log Daphne. Dabei hatte ihre Freundin viel zu viel Puder aufgetragen. Sie sah aus, als habe man sie mit einer Tüte Mehl überstäubt. »Und Rosa steht dir wirklich gut.«
    Lydia steckte die Puderdose weg und schloss die Handtasche. »Danke, Daphne. Was würde ich nur ohne dich tun?«
    Daphne setzte ein entschlossenes Lächeln auf. Sie stiegen aus dem Auto und gingen zielstrebig auf den Hoteleingang zu.
    Ein Messingpfeil wies ihnen den Weg über weich gepolsterte Stufen aus der Hotelhalle zum Ort des Rendezvous. Sie gingen hinab und standen vor den Türen zur Lounge. Lydia nahm Daphne beim Arm.
    »Warte mal«, flüsterte sie. »Vielleicht kann ich ihn schon von hier aus erkennen.«
    Sie öffnete die Buntglastüren einen Spalt weit und spähte hinein, um den Saal nach dem Mann mit der Kamera abzusuchen.
    An einem Tisch saß ein Paar bei Drinks – eine Frau mit einer kunstvollen Bienenkorbfrisur und ein Mann, der vielleicht halb so alt wie sie war –, an einem anderen Tisch eine junge Familie bei einem verspäteten Mittagessen. An der Bar starrte ein Jugendlicher unbewegt hoch in ein Fußballspiel auf einem über der Bar hängenden Fernsehgerät.
    Wo war er bloß? Vielleicht war er noch nicht da? Sie wollte gerade hineingehen, da fiel ihr Auge auf eine einsame Gestalt am Fenster, die erwartungsvoll herausspähte.
    Ihr sank das Herz.
    Die Kamera und das Glas mit Fanta vor ihm bestärkten sie in ihren schlimmsten Befürchtungen. Er war klein und völlig kahl, und aus einem Hemd mit einer extravaganten, maulbeerroten Krawatte schälte sich ein Schildkrötenhals heraus. Hätte sie jetzt noch Zweifel gehabt, dann hätten sein dunkelblauer Blazer mit den überdimensionalen Schulterpolstern und den vielen Messingknöpfen sowie seine graue Hose – die er so genau in seinem Brief beschrieben hatte – seine Identität geklärt. Mr McPrunty stand ihr unsäglich lebendig vor Augen.
    Einundsechzig? Er sah eher wie einundachtzig aus. In einem kurzen, herzzerreißenden Moment nahm sie die ganze Szene in sich auf. Sie wollte fliehen.
    Daphne, die ihre Enttäuschung spürte, zupfte sie am Arm.
    »Was ist denn los, Lydia? Siehst du ihn?«
    Lydia konnte nicht sprechen, sie deutete nur auf die Gestalt am Fenster.
    »Ist er das?«, fragte Daphne. »Bist du sicher?«
    »Ja, ich bin mir ganz sicher«, flüsterte Lydia verzweifelt. »Natürlich bin ich mir sicher. Er hat mir die Kamera beschrieben und die liegt dort, außerdem trägt er genau die Sachen, die er in seinem Brief aufgezählt hat.« Sie schlug die Hand vor den Mund. »Oh, mein Gott, ich kann nicht zu ihm gehen, Daphne! Das ist ein alter Rentner. Er könnte mein Großvater sein.«
    »Ach, Lydia, komm mal mit mir zur Toilette. Dann können wir darüber reden. Du kannst ihn doch nicht einfach da sitzen lassen. Das wäre nicht recht.«
    Sie zupfte Lydia am Arm. Die Toilette war nur ein paar Meter die Hotel halle herunter. Daphne lehnte sich von innen gegen die Tür.
    »Sei doch vernünftig, du musst raus und ihn kennenlernen. Das gehört sich so. Es wäre sehr unhöflich, ihn nach all dem fallen zu lassen.«
    Sie standen in der Toilette aus falschem Marmor unter Neonlicht. Lydia konnte sich nicht entscheiden. Sie ging zum Spiegel, schlug die Hände vor das Gesicht und sah dann hoch in den Rauchglasspiegel.
    »Na klar, und von ihm ist es nicht unhöflich, mich anzulügen, dass er einundsechzig ist, wenn er aussieht wie Methusalem. Mein Gott«, fragte sie den Spiegel, »wie bin ich denn hier reingeraten?«
    Daphne versuchte, sie zu trösten. »Sieh doch mal, Lydia, es ist doch nur ein erstes Treffen. So schlimm kann das doch nicht sein.« Sie sprach zum Spiegelbild ihrer Freundin. »Aussehen«, sagte sie, »ist doch nicht alles.« Lydia warf Daphne einen wütenden Blick im Spiegel zu und da verstand Daphne, dass sie einen Fehler gemacht hatte.
    »Um Himmels willen, Daphne! Würdest du dich mit dem sehen lassen?« Sie drehte sich um und sah Daphne direkt an. »Und sei bloß ehrlich.«
    »Tja ...«
    »Komm, sei ehrlich ...«
    »Na ja, ich würde ihm schon eine Chance geben und mit ihm reden ...«
    »Aber würdest du ihn auch mit zu Heathers Hochzeit nehmen? Du erinnerst dich, das ist der ganze Sinn der Übung.«
    »Na ja, um ehrlich zu sein ...« Sie zögerte. »Du willst die

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