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Der übersehene Mann: Roman

Der übersehene Mann: Roman

Titel: Der übersehene Mann: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christina McKenna
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Kopfkämmte, wurde er unruhig. Sehr drastisch, dachte Jamie. Er hing an diesen kostbaren Strähnen und fragte sich, ob er wirklich den Großteil seiner echten Haare für das Tragen eines Toupets opfern sollte.
    Er sah sich im kaputten Spiegel an, drehte und wendete den Kopf, nahm das Adolfo-Toupet mit »besonderer Klebkraft« und legte es sich auf den Kopf.
    Hm.
    Es gab keinen Zweifel: Aus bestimmten Blickwinkeln sah es aus wie ein Kuhfladen. Doch er erstickte seine Zweifel, indem er sich daran erinnerte, wie viel er dafür ausgegeben hatte. Es wäre eine schreckliche Vergeudung, es jetzt liegenzulassen. Und wenn er den Kleber erst aufgetragen hatte, würde es sicherlich so aussehen wie die Haare, mit denen er geboren worden war.
    Er kämpfte zwanzig Minuten mit Rasiermesser, Schere, Klebstreifen und einer Tube Industriekleber auf Acrylbasis. Der blieb an allen Sachen im Umkreis von einem Meter haften, doch irgendwann hatte Jamie sein Toupet befestigt. Er hob den Kopf und begutachtete das Ergebnis seiner Bemühungen.
    »Großer Gott!«, rief er aus, die Augen vor Schreck geweitet. Er hatte versehentlich die Anleitungsbroschüre mit angeklebt.
    Ein Teil davon stand wie eine Dachtraufe über seiner Stirn ab. »Kaufen Sie noch heute den Kopfhautbalsam und den Porenfüller. Garantierte Wirkung«, las er in grellroter Spiegelschrift.
    Jamie zog an der Broschüre, aber sofort schossen ihm Tränen in die Augen und er fürchtete, sich zu skalpieren, so fest haftete der Kleber. Nicht einmal ein ukrainischer Gewichtheber hätte sich mit ihm messen können. Deswegen machte er sich daran, das Papier abzuschneiden. Papier konfetti segelte auf die Frisierkommode hinab, als er versuchte, das störende Heftchen, nicht aber das Toupet, wegzuschneiden.
    Schließlich war es geschafft. Er sah vielleicht nicht unbedingt gut aus, war aber auf jeden Fall vorzeigbar – und das war gut genug. Wahrscheinlich standen die Haare des Toupets etwas zu sehr ab, und er versuchte, sie mit den Händen am Kopf zu glätten. Doch nichts tat sich. Dannschmierte er sich eine großzügige Portion Pomade darauf, die es für eine Minute zu zähmen schien, bevor es sich trotzig wieder aufstellte. Sein Schopf sah aus wie der eines Goldspechts, der seine Krone aufstellt, um sein Weibchen zu beeindrucken. Wenn man es genau bedachte, sollte das Toupet ja genau dieselbe Wirkung erzielen.
    Jamie seufzte. Vielleicht war noch mehr Papier darunter, oder sein Kopf hatte so eine Form – und wenn Gott seinen Kopf so gemacht hatte, dann konnte man wenig dagegen tun, denn dann war er, wie er war und damit basta.
    Sein neues Haar war also an Ort und Stelle. Jetzt konnte er sich auf seine Kleidung konzentrieren. Erst das sonnengelbe Hemd, dann der Anzug, gefolgt von der roten Paisleykrawatte. Schließlich schlüpfte er in die schimmernden Halbschuhe. Nun fühlte sich Jamie schon viel besser. Der Anzug streichelte ihn auf unbekannte Art. Er fühlte sich wichtig. Er konnte sich in dem kaputten Spiegel nicht ganz sehen, aber er stellte sich vor, er sähe wie ein Versicherungsvertreter aus. Notfalls würde er auch als Anwalt durchgehen.
    Ihm blieb noch etwas Zeit, und so setze er sich, um eine zu rauchen. Er wurde langsam nervös. Plötzlich wurde ihm klar, dass er Miss Devine in zwei Stunden treffen würde. Jetzt saß er nicht mehr in seinem ramponierten Sessel, sondern wurde im Schulhof gehänselt. Was, wenn sie dich nicht mag? Was, wenn dir nichts zu sagen einfällt? Was, wenn du dich zum Affen machst? Denn das wird bestimmt passieren, das weißt du doch, oder?
    Jamie brauchte einen Drink, um sich zu stabilisieren, aber es war nichts im Haus. Er sah die Valiumflasche auf dem Regal stehen. Seit vierzehn Tagen hatte er keine mehr genommen. Und jetzt konnte er keine nehmen, weil er mit Miss Devine wahrscheinlich etwas trinken würde – und ganz bestimmt nicht in ihrer Gegenwart einschlafen wollte. Das letzte Mal, als er Alkohol und Valium gemischt hatte, war vor einer nervenaufreibenden Beichte gewesen. Gerade als er ein paar lässliche Sünden vor der eigentlichen großen beichten wollte, fiel er gegen den Schirm und verschwand aus Vater Brannigans Sichtfeld. Er kam erstwieder zu sich, als der Priester ihm die Letzte Ölung verabreichen wollte, da er dachte, er habe einen Herzinfarkt erlitten.
    Jamie wurde immer aufgeregter. Er zündete sich noch eine Zigarette an. Und dann dachte er: Ich nehme das Valium doch nur, um die Einsamkeit auszuhalten, weil Mick nicht hier ist. Aber

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