Der übersehene Mann: Roman
Es wäre taktlos, ihm die schlechte Nachricht zu überbringen und zu gehen. Und Lydia wusste den Mut zu würdigen, den es Mr James Kevin Barry Michael McCloone gekostet haben musste, die Strecke von seinem Hof in Duntybutt zu diesem Tisch im Royal Neptune in Lisballymoe zurückzulegen.
Sie würde einfach das Beste daraus machen müssen.
Nach einigen Schlucken Whiskey und ein paar Zigarettenzügen ging es Jamie besser. Wenn es auch immer noch entsetzlich heiß war und er jetzt richtig ins Schwitzen kam. Gerne hätte er die Krawatte gelockert, aber das hielt er für unhöflich.
»Und, leben Ihre Eltern noch?«, fragte Lydia.
Sie bemerkte, wie sich sein Gesichtsausdruck veränderte. Er sah auf den Tisch hinunter.
»Nein«, antwortete er. »Leider. Sie leben nicht mehr, weil sie tot sind.«
»Ich verstehe«, sagte sie und versuchte, nicht zu lächeln. »Das tut mir leid.«
»Was ich sagen wollte, ist ...«
»Es ist schon in Ordnung, James, ich weiß, was Sie sagen wollten.«
Sie erwartete, dass er ihr dieselbe Frage stellte, und ging in Gedanken noch einmal die Erklärung über ihre Mutter durch, doch merkwürdigerweise erkundigte er sich gar nicht danach. James fragte etwas ganz anderes.
»Ich nehme an, Sie fahren Auto, Lydeea?«
»Ja, das stimmt. Und Sie?« Sie fragte sich, wohin diese Frage führen sollte.
»Nein, Auto nicht ... nur Trecker.«
»Stimmt ja, das haben Sie mir ja in einem Ihrer Briefe geschrieben.« Sie sah, wie angeregt sich das Paar, das ihn begleitet hatte, unterhielt.
»Deswegen haben Ihre Freunde Sie auch hergebracht.«
»Jawohl, so wars. Das sind Rose und Paddy McFadden, meine Nachbarn. Paddy fährt mich gerne in der Gegend herum, macht er wirklich gern.« Der Whiskey löste Jamies Vokale und flachte die Konsonanten ab.
Es folgte ein weiteres peinliches Schweigen. Jamie versuchte, Lydia nicht allzu oft anzusehen. Sie war doch viel zu schön und verfeinert und intelligent, als dass sie irgendetwas mit einem wie ihm zu tun hätte haben wollen. Er wollte einen guten Eindruck bei ihr hinterlassen, sich dabei aber auch nicht zum Narren machen. Das fiel ihm sehr schwer, denn er hatte überhaupt keine Erfahrung mit Ersterem und viel zu vielmit Letzerem. Ihm war entsetzlich unbehaglich zumute und außerdem viel zu heiß.
»Was ist es denn für eins?« Jamie gab sein Bestes und traute sich, Lydia anzusehen, als er die Frage stellte.
»Wie bitte, was?«
»Ihr Auto ... ich meinte ... die Sorte. Äh, nein ... die ... die Marke.«
»Oh, Entschuldigung, James, ich hatte den Faden verloren. Muss an dem Sherry liegen.« Sie wünschte sich, sie würden die Klimaanlage in Gang setzen. Es war drückend heiß. »Ach, nur ein kleines, ein Fiat 850.«
»Ein gutes kleines Auto.«
Jamie stürzte seinen Whiskey herunter und zündete sich noch eine Zigarette an. Er zog daran, doch dann bemerkte er überrascht, dass die erste noch qualmend im Aschenbecher lag. Er drückte sie sofort aus und wollte sich gerade wieder über den Kopf streichen, überlegte es sich dann aber doch anders. Stattdessen starrte er seine Hand an, als sei sie eine gefährliche Waffe.
In der Zwischenzeit hatte Lydia den Kellner herangewunken. James McCloone sandte merkwürdige Signale aus und sie hatte den Eindruck, dass ihm noch etwas mehr Alkohol helfen könnte, ruhiger zu werden, und deswegen bestellte sie nach.
»Ich habe die Fahrprüfung nie gemacht, hatte irgendwie keine Zeit«, sagte Jamie. Er starrte noch immer auf seine Hand. Ab und an warf er einen Blick zu seinen Freunden hinüber. »Aber Paddy hilft mir da wirklich immer wieder gerne aus.«
In einiger Entfernung hatten Mr und Mrs Paddy McFadden es sich bequem gemacht und tranken Malt Whiskey und Orangensaft. Paddy nickte ununterbrochen wie ein Wackeldackel und paffte dabei, während Rose – die schon Hochzeitsglocken und das Getrappel kleiner Füße hörte – ihm ihre Kommentare zu den Entwicklungen am Tisch der einsamen Herzen zuflüsterte.
»Gott, was für ein schönes Paar, findest du nich, Paddy?«
»Jawohl, das stimmt allerdings.«
»Weißte, es is, als wären sie füreinander gemacht, denn sie haben genau dieselben Nasen. Siehst du das, Paddy?«
»Gott, nun, wo du’s sagst und ich sie so richtig ansehe, seh ich genau, was du meinst.«
Lydia lächelte Rose und Paddy an und Rose belohnte sie mit einem winzigen Windsor-Winken.
»Jawohl, Paddy hilft mir damit gerne aus«, wiederholte Jamie, »und Sie ... Sie kochen gerne, Lydeea?«
Lydia wusste nicht
Weitere Kostenlose Bücher