Der Ultimative Ratgeber Für Alles
verändern die Welt. Sie haben insofern magischen Charakter. Deshalb war der Erzähler in grauer Vorzeit oft auch Heiler und Priester. Heute haben es die Ärzte leichter. Sie müssen nicht reden, zumindest nicht mit Kassenpatienten. Sie füllen einfach ein Rezept aus und sagen: »Das hilft!« Zum Sprechen bleibt da wenig Zeit. Da wird kurz gefragt: »Wie geht’s uns denn?« Und schon ist Feierabend. Schon deshalb sind unsere Ärzte als Religionsgründer nicht geeignet. Sie haben ihre Fantasie gegen einen Kernspintomografen eingetauscht. Das ist für unsere Gesundheit nicht immer von Nachteil.
Da unsere Krankheiten meist psychische Ursachen haben, können sie auch durch geschicktes Reden therapiert werden. Sprechen Sie mit Ihrem Fußpilz! Auch schönheitschirurgische Eingriffe können durch geschicktes Zureden vermieden werden. Erklären Sie Ihrer Partnerin, dass ihre Nase nicht dem Krummsäbel eines schäbigen jemenitischen Wüstenbewohners gleicht, sondern dem heiligen Berg Kailash! Und dass Millionen Tibeter gerne eine solche Nase hätten! Sie wird Sie lieben. Lügen sind die Grundlage jeder langjährigen Beziehung!
Jedes Dorf hatte früher seine eigene Welterzählung, das wissen wir aus den heute noch existierenden »wilden« Kulturen. Mit den zunehmenden Kontakten zwischen den Stämmen wuchsen auch die Geschichten zusammen. Daraus entstanden große, komplexe Mythen, die sich so lange veränderten, bis sie aufgeschrieben wurden. Mit der Niederschrift standen sie fest und wurden zur Wahrheit erklärt.
Die Ilias, die Bibel, Asterix
Da es keine Argumente für ihre Wahrhaftigkeit gab, mussten Zweifler nicht argumentativ, sondern mit der Zungenzange zum Schweigen gebracht werden. So ist er, der Mensch. Nicht zimperlich.
So wird die gemeinsame Schöpfungssaga zum verbindenden einer Kultur. Dann wird ein Religionsoberhaupt ausgerufen. Der Mann behauptet dann, direkten Kontakt zum großen Erschaffer zu haben, und leitet daher seine Autorität ab. Er spricht mit dem Schöpfer, auch über intime Zusammenhänge, trinkt mit ihm Kaffee und geht mit ihm einkaufen. Er kennt sogar seine Schuhgröße! So verkündet er es jedenfalls.
Er heißt dann Papst, Prophet, Lama, Guru oder Schamane und hält regelmäßig Zwiesprache mit dem meister des Kosmos, der alles gemacht hat, also die Gestirne, die Erde und den Rübenacker vom Bauer Sackermann, ja sogar die Regenwürmer darin und ihre Ausscheidungen, dies alles mit einer Akribie, dass man feststellen muss: Der Mann muss ungeheuer viel Zeit gehabt haben.
Die alten Griechen hielten ihren Obergott Zeus für einen rechten Flachleger und glaubten, er wäre den Schönen der Erdenwelt in zahlreichen Gestalten erschienen, unter anderem als Schwan, Stier oder dreibeiniges Beistelltischchen. Die Griechen glaubten, die Götter müssten ungefähr denselben Charakter haben wie die Menschen selbst, mit anderen Worten, sie sollten geil, versoffen und ichbezogen sein. Dieser Realismus unterscheidet die alten Griechen von anderen Völkern. Respekt!
Eine solche Schöpfungsgeschichte ist auch für uns einfach gestrickte Gestalten verständlich: Gott, der alte Schwerenöter will einer Göttin imponieren und, entwirft aus blanker Prahlsucht ein Universum, wirft es auf den Tisch und murmelt: »Gott, oh Gott, oh Gott, oh Gott, da habe ich ja noch ein Universum in der Tasche.« Seine Göttin (nennen wir sie Renate - warum sollen Göttinnen nicht Renate heißen?) wird neugierig: »Ein Universum, lass mal sehen … ! «
Gott (nennen wir ihn Jacques, denn Gott lebt bekanntlich in Frankreich) weiß, er hat alles richtig gemacht und murmelt: »Zuhause habe ich noch ganz viele davon, willst du sie sehen .? « Schon hat er es geschafft. Renate ist so gut wie überredet und das Universum, bildet seitdem Masse, Zeit und Raum. Und keiner wird sich je daran erinnern, ob sich der Abend wenigstens gelohnt hat -oder ob Renate den Braten nicht doch noch kurz vor der Haustür gerochen hat.
Ich finde, dabei handelt es sich um eine sowohl in sich stimmige als auch beeindruckende Schöpfungsgeschichte, die denen des alten Orients in keiner Weise nachsteht. Trotzdem hat sie Schwächen. Als Monotheist davon ausgehend, dass Gott als alleiniger Weltenschöpfer fungiert, müsste er (oder sie) auf sich allein gestellt gewesen sein und ein sexuell wenn nicht uninteressiertes, dann doch wenigstens frustriertes Leben führen. Das würde auch erklären, dass er sich mit der sinnlosen Bastelei von Universen die Zeit vertreibt.
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