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Der Umfang der Hoelle

Der Umfang der Hoelle

Titel: Der Umfang der Hoelle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Steinfest
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nur klar geworden, daß Portugal keine Lösung sein würde. Nicht für sie. Sie mochte das Meer nicht. Sie mochte es nicht, so weit hinauszuschwimmen, bis sie unterging.
    Mona Herzig reiste nach Purbach, wo es weit und breit kein Meer gibt, nur einen See, dunkelgrün wie eine Weinflasche, kalt und tief, aber von übersichtlicher Länge und Breite. Allerdings scheute sich Mona, ganz einfach vor ihren Chef und Liebhaber sowie vor ihre Freundin Claire zu treten (eine Freundschaft, so stabil wie eins dieser bemalten Ostereier), um der ganzen Lügnerei ein Ende zu setzen. Sie scheute sich, auch weil sie aus der Ferne die kleine Gesellschaft sah, die auf der sonnenbeschienenen Terrasse beim Mittagessen saß. Das waren nicht die Leute, die das alles etwas anging. Und da Mona Herzig recht gut mit den Purbacher Verhältnissen vertraut war und nicht wenige Stunden im Turm der Sternwarte zugebracht hatte, begab sie sich dorthin, zog den Schlüssel aus dem ihr bekannten Versteck und trat in das Gebäude. Das sie einige Zeit später, um Luft zu schöpfen, wieder verließ.
    Dabei war sie auf Reisiger gestoßen, zutiefst geschockt von dessen Anwesenheit. Einen Moment fürchtete sie, Reisiger gehöre zu Bobecks Leuten, nicht zu denen des Instituts, natürlich nicht, sondern wie Pliska als Mitglied einer privaten Interventionstruppe fungierend. Doch sie verwarf den Gedanken, überlegte, daß, wenn Bobeck sich noch immer auf der Suche nach dem Regina befand, es sich anbot, jenen Leo Reisiger einzuladen, um im Rahmen einer unschuldigen Festivität nachzufühlen, ob dieser merkwürdige Mensch vielleicht mehr wußte, als er vorgab. Und ob sein dramatischer Auftritt an jenem eisigen Tag denn wirklich ein Zufall gewesen war. (Tatsächlich war es so, daß Bobeck den Verdacht hegte, Reisiger könnte mit Fred unter einer Decke gesteckt haben. Nur, daß diese Decke in Brand geraten war.)
    In jedem Fall hätte Reisigers Auftauchen Mona dazu veranlassen müssen, die Furnesssche Sternwarte nicht wieder aufzusuchen. Aber nachdem sie einige Zeit in der Tiefe des kleinen Waldes gleich einer dieser weggeworfenen geknickten, bläulichen Plastikflaschen gehockt war, war sie zurück zum Turm gegangen, müde und hilflos, und war zum beleuchteten Kuppelraum hinaufgestiegen, um zu warten, was nun kommen würde.
    Es war Pliska, der kam, spät, aber doch. Er machte keine großen Umstände, zog eine Waffe und meinte, daß es vernünftiger gewesen wäre, nach Portugal zu gehen.
    Mona antwortete, was sie dann später auch Claire gegenüber äußern würde, daß ihr Portugal nichts genützt hätte.
    »Es ist ein schönes Land, um zu vergessen«, sagte Pliska. Und: »Aber was soll man machen? Es hat auch etwas für sich, sein Unglück selbst zu bestimmen.«
    Dabei hob er die Waffe weiter an und bat Mona, mit ihm zu kommen. Das sei hier nicht der richtige Ort.
    »Wie Sie schon sagten«, entgegnete Mona, »ich darf mein Unglück selbst bestimmen.«
    Dabei sprang sie – obgleich sie gerade noch einen eingefrorenen Eindruck gemacht hatte – unvermutet auf und stürzte Pliska entgegen. Sie hatte nicht wirklich vorgehabt, ihn zu überwältigen. Ihre ganze Aktivität beruhte auf der Furcht, eine langwierige Geschichte über sich ergehen lassen zu müssen, indem Tom Pliska sie irgendwohin brachte, um sie dann vielleicht zu zwingen, einen Eimer Schlaftabletten zu schlucken. Oder was auch immer. Sicherlich gehörte nicht dazu, nochmals zum Flughafen chauffiert zu werden. Auch für Tom Pliska war Portugal nun keine Lösung mehr.
    Wenn schon sterben, dachte Mona Herzig, dann hier und jetzt. Und rasch bitte. Aber sie starb nicht. Die unkoordinierte Vehemenz, mit der sie Pliska entgegenflog – sich ihm praktisch in die Arme warf –, führte zu einer im ganzen grotesken, im Detail aber vollkommen logischen Umkehrung der Verhältnisse. Jedenfalls zeigte der Pistolenlauf in die falsche Richtung, als das Projektil ihn verließ. Die Kugel trat in Pliskas Schläfe. Er starb augenblicklich an seinem eigenen friendly fire .
    Eine ganze Weile lag Mona neben dem Toten, unfähig, einen Gedanken zu fassen, in dessen Strömung sie dann auch zu einer Handlung fähig gewesen wäre. Als sie aber die Stimmen von der Treppe her vernahm, war das ein Signal, auf das sie reagierte. Vielleicht auch nur, weil es ihr peinlich gewesen wäre, so daliegend ebenfalls für tot gehalten zu werden. Das wollte sie keinesfalls. Und so saß sie also im Sessel, die Waffe fest umklammert, als die kleine

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