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Der Umfang der Hoelle

Der Umfang der Hoelle

Titel: Der Umfang der Hoelle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Steinfest
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schwieg, verzog keine Miene. Er dachte wohl gerade an die Strafen, die einen querschnittsgelähmten Spaghetti-Verweigerer sinnvollerweise treffen konnten.
    Reisiger rollte zum Ausgang, wo sein Bewacher oder Begleiter soeben ein Gespräch beendete, das er mittels seines Funkgeräts geführt hatte. Er sagte: »Man hat Mr. Lichfield geborgen. Er ist tot.«
    »Ich hatte nicht erwartet, daß er diesen Sturz überlebt.«
    »Nein. Natürlich nicht.«
    »Was nichts daran ändert«, sagte Reisiger, »daß sich ein Arzt die Leiche ansehen wird. Dr. Jakobsen, nehme ich an.«
    »Sie kennen Dr. Jakobsen?«
    »Möglicherweise. Jedenfalls möchte ich gerne mit ihm sprechen.«
    »Nun, ich denke, Dr. Jakobsen wird gerade mit Mr. Lichfield beschäftigt sein.«
    »Na und«, meinte Reisiger, »ein Genie wie dieser Koch, der zum Arzt wurde, wird es ja wohl mit einem Toten und einem Lebenden gleichzeitig aufnehmen können. Ich möchte ihn sehen. Und ich möchte Lichfield sehen. Das läßt sich ja nun wunderbar verbinden. Können Sie mich also hinbringen?«
    »Das habe ich nicht zu entscheiden«, sagte der Mann und trat einige Schritte von Reisiger fort, um erneut sein Funkgerät zu benutzen. Er sprach mit einer Stimme wie unter Schneeflocken und bewegte sich dabei, als spinne er eine Wolldecke oder einen Schal um sein Funkgerät herum. Dann kam er zurück und erklärte: »Es geht in Ordnung. Kommen Sie!«

Bobeck II
    Die medizinische Station war nur zwei Stockwerke tiefer gelegen. Ein Teil der Räume, die Krankenzimmer und therapeutischen Bereiche, befanden sich zum Meer hin gelegen, ein Meer, das jetzt – im aufkeimenden Dunkel – erheblich zu toben begonnen hatte. Natürlich war längst die Stunde vergangen, nach welcher geplant gewesen war, zurück zur Hyperion zu fliegen.
    »Was ist mit dem Hubschrauber?« fragte Reisiger seinen Aufpasser.
    »Mußte zurück.«
    »Schön, daß ich das auch noch erfahre. Daß bedeutet also, daß ich hier festsitze.«
    »So ist es. Der Vorfall muß untersucht werden. Davon zu schweigen, daß Mr. Lichfield ja nicht irgendwer war.«
    »Das ist richtig. Man hätte ihm ein Dutzend Leibwächter zur Seite stellen müssen.«
    »Wollen Sie sagen, daß wir schuld sind?«
    »Ach was!« meinte Reisiger und fuhr mit seiner Hand durch die Luft, als wische er Kreide von einer Tafel.
    Eine Türe, in die ein kleines Sichtfenster eingelassen war, ging automatisch zur Seite. Reisiger rollte in den Raum. Sein Begleiter hörte auf, ihn zu begleiten, blieb jenseits der sich wieder schließenden Türe.
    In dem hohen, fensterlosen und kalten Raum, dessen Boden aus einem grün und gelb gesprenkeltem Stein bestand, was trotz aller Technik, die herumstand, an ein herrschaftliches Palais denken ließ, in diesem Raum also waren mehrere Personen versammelt, die um einen OP-Tisch standen, auf dem Lichfields Leichnam Platz gefunden hatte. Er lag unbekleidet auf der metallenen Fläche, ein sonnengebräunter, stark behaarter Körper, der nackt und tot noch mächtiger und kräftiger wirkte als angezogen und lebend.
    »Ah, da sind Sie ja«, meldete sich Kapitän Chips, scherte aus der Gruppe der Leichenbeschauer aus und ging Reisiger entgegen. »Sie sollen sich mit Ihrer Frau in Verbindung setzten. Ich werde Sie nachher in den Funkraum bringen lassen. Ich habe mir zwischenzeitlich erlaubt, Ihrer Gemahlin zu versichern, daß mit Ihnen alles in bester Ordnung ist. Leider schien sie mir nicht zu glauben.«
    Reisiger machte eines dieser hängenden, müden Männergesichter, welche die völlige Ratlosigkeit in bezug auf Frauen bekunden. Dann dirigierte er seinen Rollstuhl an Chips vorbei auf die Leiche zu. Von den fünf Leuten waren zwei in Zivil, drei trugen nachtgrüne Ärztekittel und nachtgrüne Schutzhauben. Es war klar, wer hier Jakobsen sein mußte, da es sich bei zweien der Kittelträger um junge Frauen handelte. Der Arzt, der soeben die Mundhöhle des Toten untersuchte, hob jetzt kurz seinen Kopf an und betrachtete aus geröteten, wäßrigen Augen den Herangefahrenen. Eine Sekunde bloß. Und ohne Reisiger auch nur begrüßt zu haben, widmete er sich wieder Lichfield, indem er ein antennenartig ausgefahrenes Lämpchen in dessen Rachen einführte.
    Reisiger zweifelte keinen Moment. Und das, obwohl der Mann, der sich da gewissermaßen in den toten Lichfield hineinkniete, kaum noch an jenen strahlenden Modehausethologen Siem Bobeck erinnerte. Dieser Arzt hier, der sich Jakobsen nannte, war um einiges beleibter, ja, fett in der Art

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