Der Umfang der Hoelle
bauchigen Flaschen ragten, Korbstühle, Gesticktes an den Wänden, lilafarbene Servietten, keine Aschenbecher, dafür ein paar Fische aus Wachs über der Bar.
»Putzig«, kommentierte Reisiger und stellte sich und seinen Rollstuhl an einen der Tische. Dann wandte er sich seinem Begleiter zu und meinte: »Könnten Sie draußen auf mich warten. Was sollte ich hier drinnen auch anstellen, als mich ein wenig betrinken?«
»Ich glaube nicht, daß der Kapitän das möchte.«
»Also gut. Ein Glas nur. Aber das würde ich eben gerne alleine trinken. Oder als was sehen Sie mich an? Als Ihren Gefangenen?«
»Ich habe für Ihre Sicherheit zu sorgen.«
»Sorgen Sie draußen dafür. Bitte! «
»Wenn Sie unbedingt darauf bestehen«, sagte der Mann und ging, blieb dann aber im Eingang stehen, wie er dies auch schon in der Kirche getan hatte. Gegen den Balken gelehnt murmelte er: »Verfluchte Deutsche.«
Reisiger war jetzt der einzige Gast im Lokal. Er rief: »Hallo!«
Ein Keller erschien. Ein kleiner Mann, der tatsächlich wie ein Italiener aussah, dessen Englisch aber, als er nun fragte, womit er dienen könne, ein Leben auf den Bühnen Londoner Theater nahelegte. Ein langes Leben auf kleinen Bühnen.
Reisiger griff nach seinem persönliches Trinkglas, hielt es dem Mann entgegen und bat darum, es mit Gin zu füllen, Bols , wenn das möglich sei.
»Wir führen eigene Gläser«, erklärte der Kellner und kämmte sich mit den Fingern durch das schwarze Haar, wie um seine Kopfhaut zu lüften.
»Davon bin ich überzeugt«, versicherte Reisiger, »aber mir wäre nun mal lieber, dürfte ich den Gin aus meinem eigenen Glas trinken. Sie würden mir eine große Freude machen.«
»Wie Sie wünschen. Ich gehe davon aus, daß Sie ein Besucher sind. Ich darf Alkohol nur an Besucher ausschenken.«
»Wofür sonst könnten Sie mich halten?« fragte Reisiger und blickte ausdrucksvoll an seinen Beinen hinunter.
»Selbstverständlich. Ein Glas Gin, der Herr«, sagte der Kellner und nahm Reisiger das Glas aus der Hand.
» Bols !« erinnerte Reisiger. »Und bringen Sie mir eine Portion Spaghetti, eine kleine Portion mit Butter und Parmesan, und nichts sonst.«
Der Kellner sah auf die Uhr und meinte, daß die Küche erst in einer Stunde aufsperre.
»Ich bin mir sicher, daß Sie den Koch überreden können, eine Ausnahme zu machen. Wir sprechen schließlich nicht von gefüllten Champignons, sondern von ein paar Nudeln.«
»Nun, ich werde sehen, was sich machen läßt.«
»Das wäre nett«, sagte Reisiger und bat auch noch um einen Aschenbecher.
»Einen Aschenbecher, sehr wohl.«
Der Mann verschwand hinter der Theke und erschien wenig später mit Reisigers nun großzügig gefülltem Privatglas sowie einem Gesteinsbrocken, in den eine polierte Mulde und eine Furche eingemeißelt waren. Dann ging er nach hinten, in jene schlauchförmige Küche, die sämtliche sechs Restaurants miteinander verband, um den Koch vom Hunger eines Gastes zu überzeugen.
Ein Hunger, der natürlich gar nicht bestand. Ein Durst sehr wohl. Reisiger nahm die Flüssigkeit wie eine kleine Wahrheit in sich auf, eine Wahrheit, die über den Dingen stand und noch wahr sein würde, wenn sich alles andere als Betrug herausgestellt hatte.
Als erstes waren es die Spaghetti, die sich als ein solcher Betrug erwiesen. Allerdings in anderer Form, als man das gewohnt war. Entgegen der Tatsache, eine kleine Portion bestellt zu haben, wurde Reisiger ein gewaltiger Berg serviert, dessen Anblick ihn bereits erschöpfte. Gerne hätte er darauf bestanden, das Essen zurückzuschicken, überlegte es sich aber, dankte dem Kellner, zündete sich eine Zigarette an und gab sich nachdenklich der Betrachtung der nudeligen Masse hin.
Was tat er hier eigentlich? Nun, er ging einen Weg zu Ende, der damit begonnen hatte, einen Lottoschein zu verbrennen. Danach war er aus dem Hotel und auf die Straße getreten und an einen verträumten Hooligan namens Fred Semper geraten. Dieser einmal eingeschlagene Weg hatte durch einige seltsame Katastrophen geführt, nicht zuletzt auch um die halbe Welt herum, um genau an diesen Tisch zu führen und in diesen Berg dampfender Spaghetti zu münden. Die Nudeln muteten drapiert an, nachgestellt, während die Stücke frisch gehobelten Parmesans wie Marmorsplitter die Kuppe bedeckten. Ja, es sah aus, als wäre dieses Ding in einem Bildhaueratelier entstanden. Als handle es sich allein um die Nachbildung einer Speise. Weshalb es lächerlich und ungehörig
Weitere Kostenlose Bücher