Der Umfang der Hoelle
eines Rod Steiger, hatte weit weniger Haare am Kopf, dafür mehr im Gesicht, und wirkte im Ganzen lange nicht so vital, wie Siem Bobeck das getan hatte. Seine Bewegungen besaßen etwas Zögerliches, und sein Blick ging in der Art einer leicht schielenden Person an den Dingen vorbei. Schweißperlen glänzten in seinem Gesicht, das die gesunde Farbe früherer Tage an ein graues, schmieriges Rosa verloren hatte. Man konnte sich eigentlich schwer vorstellen, daß dieser erschöpfte Mensch, der sich in seinen Handlungen auszuruhen schien, daß dieser Mann auf Barbara’s Island die Funktion einer Koryphäe einnahm. In der Kochkunst wie der Medizin. Andererseits war natürlich die Qualität einer Portion Spaghetti oder eines operativen Eingriffs nicht dadurch zu bemessen, ob Koch oder Arzt einen kerngesunden Eindruck machten. Sie waren es ja nicht, die an der Medizin oder der Kochkunst zu gesunden hatten, sondern ihre Gäste und Patienten.
Jedenfalls wäre kaum jemand, der Siem Bobecks Konterfei hin und wieder in der Zeitung, im Fernsehen oder auf einem Bucheinband gesehen hatte, auf die Idee gekommen, daß dieses schwitzende Schwergewicht namens Jakobsen mit dem berüchtigten Nobelpreisverweigerer identisch war. Wobei von einem berüchtigten Kriminellen zu sprechen eigentlich angebrachter gewesen wäre. Doch eine solche Formulierung war den wenigsten über die Lippen gekommen oder aus der Feder geronnen. Selbst die, die mit größter Verachtung über Bobeck geschrieben hatten, hatten ihm dennoch den Status eines charismatischen Verrückten zugestanden und es vermieden, ihn auf eine Stufe mit gewöhnlichen oder auch ungewöhnlichen Verbrechern zu stellen. Selbst noch für die Polizei war er immer nur der Bobeck geblieben, so wie seine Frau als die Rubin in den Herzen ihrer Fans weiterlebte, faszinierender denn je, illuminiert von der Tragödie eines bizarren Turmsturzes.
Wogegen sich Lichfields Sturz vergleichsweise banal ausnahm, auch wenn jetzt Jakobsen – mit einer Stimme, die deutlicher als alles andere an Bobeck erinnerte – jene Ironie des Schicksals betonte, die sich aus dem Umstand ergebe, daß jemand eine Bohrinsel errichten läßt, die er zunächst einmal zehn Jahre meidet, dann aber keine halbe Stunde benötigt, um auf ihr ums Leben zu kommen.
»Ich will natürlich«, sagte Jakobsen und zog das Lämpchen aus der Mundhöhle des toten Amerikaners, »der Untersuchung der Behörden nicht vorgreifen, aber ich glaube kaum, daß etwas anderes als die Feststellung eines Unfalls herauskommen wird. Zumindest kann ich nichts erkennen, was auf eine Fremdeinwirkung hinweisen würde. Bleibt nur noch die Möglichkeit, daß Mr. Lichfield das Bedürfnis hatte, von sich aus die Welt zu verlassen.«
»Glaube ich kaum«, warf Reisiger ein.
»Sie waren dabei?« fragte Jakobsen mit der Stimme Bobecks.
»Ich war dabei, richtig. Meine Name ist Reisiger, Leo Reisiger.«
»Tut mir leid für Sie, Herr Reisiger.«
»Was?«
»Nun, daß Ihr Freund Lichfield tot ist.«
»Ein guter Mann …«
»Und Sie meinen einen Selbstmord ausschließen zu können.«
»Soweit man so etwas ausschließen kann, ja«, erklärte Reisiger. »Ja, und nochmals ja. Lichfield war in der Verfassung seines Lebens. Bester Laune. Er war froh, auf seiner Insel angekommen zu sein.«
»Gut so«, hob Jakobsen mit einer schwerfälligen Bewegung seiner Arme an und ließ sich aus dem Kittel helfen, worunter ein Leinenanzug sichtbar wurde, der die Farbe und Struktur feuchten Sandes besaß, ein abgetragenes Ding, das stellenweise schlotterte, stellenweise spannte. Noch einmal sagte er: »Gut so.« Und erklärte, daß es ihm natürlich viel lieber sei, einen Unfall zu bestätigen, als den Verdacht eines Suizids auszusprechen. Und beschloß sodann: »Kein Wort mehr darüber. Mr. Lichfield soll seinen Frieden und sein christliches Begräbnis haben.«
»Er sieht so unverletzt aus«, wunderte sich Reisiger, der einmal um die Leiche herumgefahren war.
»Die Haut hat gehalten«, erklärte Jakobsen. »Aber innen drin ist einiges durcheinandergeraten. Jedenfalls bietet Mr. Lichfield auch als Toter noch einen erfreulichen Anblick. Ein Glück für die Hinterbliebenen. So sollte es immer sein. Keine verbrannten, verstümmelten Gesichter, keine fehlenden Glieder, keine offenen Stellen. Mr. Lichfields Leichnam ist gelinde gesagt mustergültig. Ein Herzeige-Leichnam.«
»Wenigstens das«, seufzte Direktor Chips, der die Vorwürfe der Gesellschaft fürchtete, Lichfield, den
Weitere Kostenlose Bücher