Der Umfang der Hoelle
schwer auf ihre Seele gedrückt. Dann aber, als man sich ziemlich sicher sein konnte, daß die Polizei nicht noch einmal die Gruft überprüfen würde und es möglich geworden war, zumindest mit zurückgenommener Stimme Anklage zu führen, da hatte Gerda kein Wort herausgebracht. Wie jemand, der in all den Gedanken darüber, was er demnächst für Schläge austeilen wolle, abgesoffen war.
»Das kommt vor, Schwesterchen«, meinte Bobeck, als man in der dritten Nacht die habsburgische Gruft verließ. »Zuerst will man alles sagen, alles herausschreien, und dann plötzlich kriegt man sein Maul nicht mehr auf. Nimm’s nicht so tragisch.«
Soweit wußte Gerda Semper aber ihre Sprache und ihre Stimme noch zu verwenden, daß sie ihrem Bruder erklärte, er werde sich noch einmal wundern.
Jedenfalls blieben die beiden zusammen, die Schwester vor lauter Haß, der Bruder aus der gleichen Gewohnheit heraus, mit der er so viele Jahre die Familie Semper mit Finanzspritzen versorgt hatte.
»Wir sind wieder ins Haus zurück«, erzählte Bobeck leichthin.
»In welches Haus?« fragte Reisiger, ohne seinen Blick von dem Sturm abzuwenden, der nun so heftig geworden war, daß er wegen Wiederholung die Nacht zum Leuchten brachte.
»Nun, ins Schloß natürlich. Die Polizei war ja aus Purbach abgezogen worden. Sie hatten bloß ein paar lächerliche Plomben angebracht. Bei einem so großen Haus, ist es nicht weiter schwierig, Plomben zu umgehen. Personal gab es natürlich auch keines mehr. Das Haus war tot.«
»Keine schmollenden Frauen mehr«, kommentierte Reisiger.
»Ach ja, ist Ihnen das auch aufgefallen?« zeigte sich Bobeck geradezu erheitert. »Aber ich denke, diese Schmollerei ist eine altersspezifische Angelegenheit, ein postpubertärer Reflex, der gleichwohl der Anziehung wie der Abstoßung bei der Partnerwahl dient. Jedenfalls waren sämtliche dieser dicklippigen Engel verschwunden. Das Haus stand leer, keine Claire, kein Tom Pliska, nicht einmal Pliskas Köter. Dafür volle Kühlschränke. Gerda und ich sind zwei Wochen geblieben, so weit voneinander getrennt als nur möglich. Als ich mich dann aber aufmachte, Purbach ade zu sagen, war sie wieder zur Stelle. Sie hat wahrscheinlich gehofft, mir auf diese Weise den Geist zu rauben, indem sie die Klette spielt. Terror durch Nähe. Aber ich halt schon was aus. Und ich glaube, daß ihr das in der Zwischenzeit auch aufgegangen ist. Sie klebt noch immer an meiner Seite, aber ohne Hoffnung auf Revanche.«
»Wie? Sie ist hier auf der Insel?«
»Sie arbeitet in der Küche. Ich habe Gerda zu meiner Nachfolgerin ernannt. Davor hat sie in den Unterkünften geputzt. Verständlich, daß es ihr bedeutend mehr Freude bereitet, der Küche vorzustehen und ihre Untergebenen herumzukommandieren. Ein Job mit Verantwortung. Die Leute auf Barbara stellen eine ziemlich elitäre Meute dar, Feinspitze und Nörgler. Auch viele Italiener, die sich natürlich für Spaghetti-Spezialisten halten. Man muß dieses Publikum in die Schranken weisen. Das tut man, indem man gut kocht.«
»Ich bin überzeugt, daß man Ihnen und Ihren meisterlichen Spaghetti nachheult«, meinte Reisiger mit einer Ironie aus kleinen, krummen Nägeln, die sich mitnichten in eine Wand schlagen ließen.
»Ein guter Arzt«, sagte Bobeck, »ist auch was wert.«
»Ein guter Arzt ist sicher mehr wert als ein schlechter Aggressionsforscher.«
»Na, na, jetzt begeben Sie sich auf ein Terrain, auf dem Sie nichts verloren haben. Ein bißchen Demut, mein Freund, kann nicht schaden.«
»Keine Demut, Bobeck, wirklich nicht. Nicht gegenüber einem Mann, der getan hat, was Sie getan haben.«
»Was denn getan? Fred hat sich freiwillig diesem Experiment ausgesetzt. Das zählt, nichts anderes. Mich nervt diese kleinkarierte Vorsicht, mit der heutzutage Forschung betrieben wird, als wollte man den Inhalt einer Nuß studieren, indem man sie röntgt, anstatt sie einfach zu knacken. Wir müssen aufhören, uns etwas vorzumachen. Es ist ja nicht nur so, daß der Zweck die Mittel heiligt, die Mittel heiligen auch den Zweck. Jemand, der eine Nuß aufschlägt, anstatt sie feige zu durchleuchten, ist der bessere, der echtere Mensch. Aber davon abgesehen: Die Sache funktioniert.«
»Was funktioniert?«
»Das Regina .«
»Was wollen Sie damit sagen?«
»Nun, daß jeder hier auf dem Schiff seine Dosis erhält.«
»Meine Güte, Bobeck, Sie produzieren es?«
»Genau das tue ich. In meiner Funktion als Arzt verschreibe ich die Medizin und dank
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