Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Umfang der Hoelle

Der Umfang der Hoelle

Titel: Der Umfang der Hoelle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Steinfest
Vom Netzwerk:
nach seinen Rädern und rollte in Richtung Türe. Auf halber Strecke stoppte er und sagte: »Eine Frage noch. Obgleich unwichtig.«
    »Ja?«
    »Was hätten wir tun müssen, um das Licht in der Sternwarte wieder anzukriegen?«
    »Ein Poem sprechen, einen Teil davon: Fahnen von Scharlach, Lachen, Wahnsinn, Trompeten. «
    »Was Sie nicht sagen.«
    »Stammt aus einem Trakl-Gedicht. Ich habe die Beleuchtung und die Türen darauf programmiert. Abgerichtet, wenn Sie so wollen. Eine kleine Spielerei, kindisch, aber raffiniert. Sie hätten es allerdings ebenso mit einem betonten Bitte! versuchen können. Ein Wort, das die Schalter gleichfalls akzeptiert hätten. Aber wer sagt heutzutage noch bitte?«
    »Na ja«, seufzte Reisiger und nahm seinen Weg wieder auf, »das bißchen Deckenlicht hätte uns wahrscheinlich auch nicht vor unserem Schicksal bewahrt.«
    »Kaum«, sagte Bobeck und öffnete eine Lade seines Schreibtisches, als befinde man sich in einem kleinen Fernsehkrimi.
    Reisiger, der bereits seinen Rollstuhl gewendet hatte und sich somit mit dem Rücken zu Bobeck befand, spürte deutlich den Lauf der Waffe, der jetzt auf ihn gerichtet war. Das war zu erwarten gewesen. Jedenfalls blieb Reisiger vollkommen gelassen, griff nach der Klinke und fragte: »Wie ist das? Schlucken Sie eigentlich selbst Ihr Regina ?«
    Ohne eine Antwort auf seine Frage zu erhalten, aber auch ohne von einer Kugel getroffen worden zu sein, öffnete Reisiger die Türe und glitt nach draußen. Möglicherweise war auch Bobeck bewußt geworden, daß es so nicht ging. Daß man nicht einfach eine Lade öffnen und sich wie in einem kleinen Fernsehkrimi aufführen konnte.
    Paradoxerweise war es genau dieser Umstand, der des Überlebthabens trotz Pistole im Rücken, der Reisiger dazu verführte, zu unterlassen, was er vorgehabt hatte, sich nämlich in den Funkraum zu begeben, um zunächst mit seiner Frau und dann mit der Polizei in Saint John’s zu sprechen. Auch verzichtete er darauf, wenigstens Kapitän Chips über die wahre Identität seines hochgeschätzten Insel-Arztes zu unterrichten. Chips hätte ihm nicht geglaubt, Chips schien wie alle hier ein Jünger Jakobsens zu sein. Unbelehrbar.
    Reisiger begab sich also nicht in den Funkraum, sondern ließ sich von einem Krankenpfleger, der im Nebenraum gewartet hatte, in sein Zimmer bringen. Wobei Reisiger überzeugt war, daß dieser Krankenpfleger ihn mit derselben Teilnahmslosigkeit auch als Leiche aus dem Büro des Oberarztes geschoben hätte. Barbara’s Island war genaugenommen Bobecks Country .

Zehntausend Jahre später
    Auf ein Abendessen wollte Reisiger verzichten, froh darum, die Spaghetti von zuvor nicht angerührt zu haben. Das verdammte Teufelswerk. Allerdings bat er den Krankenpfleger, ihm eine Flasche Bols zu besorgen. Und zwar eine versiegelte Flasche, worauf er unbedingt bestand.
    Der Krankenpfleger machte ein verdutztes Gesicht, erschien aber eine halbe Stunde später mit der bestellten Ware und half Reisiger auf sein Bett, dessen Position einen Blick durch das Fenster, hinaus auf eine verwilderte Dunkelheit zuließ. Gleich darauf verschwand der Pfleger mit einer Schnelligkeit, als fürchte er den Anblick eines trinkenden Menschen.
    Zwei Gläschen, dann war Reisiger eingeschlafen. Der Trommelwirbel des Orkans begleitete eine Reihe von Traumsequenzen, in deren letzter der Lawinenhund Vier auftauchte, und zwar aus dem Meer, sich auf der nun ruhigen, glitzernden Oberfläche wie auf einem Teppich niederlegte und durch sein halbgeöffnetes Mäulchen etwas sagte, das wie »Bitte!« klang.
    Reisiger mochte den Traum nicht. Er mochte es nicht, wenn Tiere wie in diesen unsäglichen Kindergeschichten zu sprechen anfingen. Ihm kam es immer so vor, als würden sich solche Tiere über menschliche Verhaltensweisen lustig machen. Über das Tragen von Kleidung und das Essen mit Besteck. Und eben über Sprache.
    Es war dann aber ein traumfremdes Ereignis, das ihn erwachen ließ. Ein reales Gedröhne, das nicht vom Meer her kam, sondern aus dem Bauch der Insel. Das Geheul von Sirenen. Alarm. Um mit Trakl zu sprechen: Trompeten.
    Reisiger steckte noch immer in seiner Kleidung. In Ermangelung seiner Gattin als Krankenschwester war er gar nicht erst auf die Idee gekommen, sich auszuziehen. Durchaus besorgt, man könnte auf ihn vergessen, rutschte er sogleich vom Bett in seinen Rollstuhl.
    Nun, man vergaß keineswegs auf ihn. Zumindest Bobeck nicht, der jetzt die Türe öffnete. Offenkundig empfand der

Weitere Kostenlose Bücher