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Der Umfang der Hoelle

Der Umfang der Hoelle

Titel: Der Umfang der Hoelle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Steinfest
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Der Horizont besaß eine matschige Konsistenz. Dafür bestand eine große Klarheit darüber, daß man im Packeis eingeschlossen war, und zwar aussichtslos. Das Meer, das halbwegs freie, war längst ein ferner Ort. Und Island eine Insel wie aus einem Märchenbuch.
    Bobeck drückte die Luke wieder nach unten, verschloß sie aber nicht, sondern ließ einen Spalt frei, durch den der eisige Wind mit der Penetranz einer defekten Klimaanlage strömte. Sodann trat er vor einen der Monitore hin und versuchte die genaue Position auszumachen. Der Computer lieferte eine Karte der nicaraguanischen Cordillera Isabella und spielte dazu das Drehorgelgetöse einer Nationalhymne, die das bananenrepublikanische Moment wie eine zerquetschte Frucht in sich trug.
    »Sehr witzig«, kommentierte Bobeck und legte seinen Finger auf ein Feld, um den Computer auszuschalten. Dazu erklärte er: »Sicher ist sicher. Das Ding will uns nicht nützen. Bevor es also auf die Idee kommt, uns noch mehr zu schaden …«
    Es funktionierte. Die beiden Monitore erloschen, ohne zuvor ein sentimentales Liedchen angestimmt zu haben. Soweit war man also noch nicht in der Zukunft angelangt, daß die simpelsten Befehle verweigert wurden. Auch dieser Computer, Dämon hin oder her, war also zumindest in jener Konvention gefangen, die bedeutete, daß Aus! gleich Aus! war.
    »Ich denke«, meinte Bobeck, »es ist sinnlos, darauf zu warten, daß man uns findet. Wenn überhaupt noch nach uns gesucht wird, was ich bezweifle. Sicher nicht hier oben.«
    »Meine Güte, wir sind in Grönland«, sagte Reisiger, seine Flasche in einer Weise umklammernd, mit der man Puppen und Stofftiere an sich preßt. »Was wollen Sie tun? Die nächste U-Bahn nehmen?«
    »Die Aussichten sind deprimierend, keine Frage. Aber wenn ich unsere Position nicht ganz falsch bemesse, befindet sich in nördlicher Richtung ein Dorf namens Isortoq.«
    »Hat Ihnen das unser Boot geflüstert?«
    »Wie ich schon sagte, das sind meine eigenen Berechnungen. Notgedrungen, da Compañero Computer vor zwei, drei Tagen begonnen hat, ein gewisses Faible für den zentralamerikanischen Raum zu entwickeln. Er phantasiert. Auch er ein Opfer der Kälte.«
    »Na gut, was wollen Sie tun? Einfach losmarschieren? Ein paar Minusgrade dürfte es schon haben.«
    Statt einer Antwort öffnete Bobeck einige Behältnisse. Darin befanden sich mehrere Sets einer Ausrüstung, die ganz offensichtlich dazu diente, einige Zeit in kaltem Wasser zu überleben. Und sich wohl nicht minder eignete, die kalte Luft etwas auf Distanz zu halten. Zumindest viel eher, als jene Freizeitkleidung es tun würde, welche die drei Personen trugen.
    »Jetzt noch einen Rollstuhl«, sagte Reisiger, »und ich bin zufrieden.«
    »Sie bleiben hier«, bestimmte Bobeck. »Gerda ebenso.«
    »Gerda«, sagte Gerda, »wird mit dir kommen. Das würde dir passen, mich hier erfrieren zu lassen.«
    »Erfrieren tust du draußen.«
    »Wär das so, würdest du nicht aufbrechen.«
    »Ich breche auf, weil mir nichts Gescheiteres einfällt.«
    »Glaub ich nicht«, sagte Gerda, erhob sich, wirkte jetzt wieder mächtig wie in alten Tagen, entschlossen.
    »Nun …« Bobeck zögerte. Dann griff er in ein Fach unter der Sitzbank und zog ein Buch hervor, eines seiner eigenen, das den Titel Untersuchungen über die Dummheit trug. Aber es handelte sich um kein reelles Exemplar, sondern um ein innwendig hohles, eine getarnte Schatulle, in welcher sich, wie Bobeck jetzt erklärte, ein Vorrat an Regina befinde.
    Es mutete komödiantisch an, daß Bobeck ein derart innovatives Präparat in einem geradezu poetisch rückständigen Versteck untergebracht hatte. Andererseits paßte es ganz gut. Und entsprach auch Bobecks Eitelkeit, jenen suchterzeugenden »Juwelenschatz« hinter einem seiner Buchtitel verschanzt zu haben.
    Bobeck beschrieb nun, daß man während der Versuche mit Fred festgestellt hatte, daß Regina im Falle hoher, gefährlich hoher Dosen eine zauberische Kälteunempfindlichkeit hervorrufe. Was letztendlich wohl nichts daran ändern könne, daß, wenn bei extremer Kälte die Zehen abzusterben beliebten, sie dies auch tun würden. Man mutiere dank Regina also sicher nicht zum absoluten Schneemenschen, sei aber in der Lage, sehr viel länger unter arktischen Bedingungen auszuhalten. Was freilich auch seine Tücken besitze und – bildlich gesprochen – Partien des Hirns in ein Flammenmeer versetze, welches möglicherweise nicht mehr zu löschen sei. Genau könne er das nicht

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