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Der Umfang der Hoelle

Der Umfang der Hoelle

Titel: Der Umfang der Hoelle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Steinfest
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rationierte, dann war er es. Er trank seinen Gin, als besprühe er seine Zunge mit Goldstaub. Es war zugleich erbärmlich und rührend, ihm dabei zuzusehen, wenn er tröpfchenweise die klare Flüssigkeit in sich aufnahm und versuchte, eine Menge zu imaginieren, die nicht vorhanden war. Er lebte von einem Schluck zum nächsten, die dazwischen liegenden Phasen kunstvoll hinausziehend. Ja, tatsächlich kam ihm der Begriff des Alkoholkünstlers in den Sinn, eine Bezeichnung, die ihm außerordentlich gefiel.
    Gerda Semper war in diesem Kontext eine Stänker- und Freßkünstlerin. Sie tat, als befinde sie sich auf einer Urlaubsreise, die sich von den Versprechungen des Reisebüros deutlich unterschied. Ihr Gezeter verqualmte die Luft. Doch Reisiger und Bobeck hörten einfach nicht hin, jeder mit sich selbst beschäftigt. Nur am dritten oder vierten Tag, als Gerda mit schamloser Gefräßigkeit an die Lebensmittel gegangen war, hatte Siem Bobeck sich ihr zugewandt, ihr den Schokoladenriegel wie eine Diskette aus dem Mund gezogen und ihr eine Ohrfeige verpaßt.
    »Mußt du gleich schlagen?«
    »Würde ich viel reden, würden wir Energie verschwenden. Das ist nicht die Situation, um irgend etwas zu verschwenden.«
    Danach nahm sich Gerda ein wenig zurück. Beim Fressen, nicht beim Nörgeln.
    Bobeck war bei alldem ein Konzentrations- und auch Geduldskünstler. Wobei sich die Geduld auf jenen widerspenstigen Computer bezog, den Bobeck mit einem naturwissenschaftlichen, wenn nicht sogar medizinischen Interesse studierte. Man konnte meinen, Bobeck halte diese Maschine für einen raffinierten Simulanten, zumindest für jemanden, der ganz gut wußte, wohin genau er da steuerte. Jemand, der im Unterschied zu diesem HAL bösartig zu nennen war, durchtrieben, verspielt, gewissenlos. Wie eben Schauspieler in der Regel sind.
    Einen Computer böse zu nennen, hat natürlich etwas von der Idiotie, mit der man ein Tier als gut bezeichnet. Andererseits muß gesagt werden, daß wenn die sogenannten sublunaren Teufel, wenn Hexen, Kobolde, Dämonen tatsächlich existieren, es geradezu als selbstverständlich angenommen werden muß, daß sie ihr Unwesen mittels moderner Maschinen betreiben. Warum auch sollten ausgerechnet jene Wesen, denen der Spuk am Herzen liegt, denen – wie Paracelsus meint – die Erde als Chaos dient, auf die ungeheuren Möglichkeiten einer von Maschinen kontrollierten Welt verzichten und statt dessen in orthodoxer Weise durch die Schlafzimmer unschuldiger Bürger schweben? Nein, sie schweben schon lange nicht mehr, meiden Schlösser und Séancen, meiden alles Reaktionäre und Hinterwäldlerische und Klamottenhafte und hocken dafür mit der größten Lust und Kompetenz in Rechenmaschinen. Das ist es dann, was wir als künstliche Intelligenz mißverstehen. Der Geist wächst nicht aus der Maschine heraus, sondern zieht in sie ein wie in ein gemütliches, kleines Häuschen. Und vielleicht besteht darin der eigentliche Antrieb des Menschen, Computer zu konstruieren, um nämlich optimale Gehäuse für seine Schreckgespenster zu schaffen.
    Unter diesem Aspekt betrachtet, mochte es nicht einmal verwunderlich sein, daß der Computer, der dieses Rettungsboot unter seiner Kontrolle hatte, zwar unentwegt Daten von Satelliten bezog, selbst noch über die aktuellen Werte der Aktienmärkte berichten konnte oder über den Stand der philippinischen Pelota-Meisterschaften, aber diese ganze Kommunikation nicht eine Sekunde der Rettung dreier Menschen zu dienen schien.
    Was natürlich nichts daran änderte, daß nach einer ersten Beruhigung der See sich Rettungsteams auf den Weg gemacht hatten, Helikopter wie Schiffe im Einsatz waren, um die »Tomaten« aus dem Wasser zu picken. Aber erstens war so ein Meer alles andere als ein Ort der Übersichtlichkeit, und zweitens wurde vor allem südlich von Barbara gesucht. Möglicherweise spielte auch die übliche Schlamperei und jene mit pathetischem Red-Adaireismus gepaarte Nachlässigkeit eine Rolle, daß Bobeck, Semper und Reisiger nicht zur rechten Zeit – als sie sich noch in einer halbwegs nachvollziehbaren Nähe zur Unglücksstelle befunden hatten – entdeckt worden waren.
    Für die drei Verschollenen drängte sich der Gedanke auf, daß man gar nicht mehr so richtig nach ihnen suchte, sich vielleicht zufrieden gab, einen nicht geringen Teil der dreihundert Besatzungsmitglieder gerettet zu haben. Wie auch immer. Der Computer blieb eine diesbezügliche Information schuldig. Aktien ja, Pelota

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