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Der Umfang der Hoelle

Der Umfang der Hoelle

Titel: Der Umfang der Hoelle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Steinfest
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Unbedingtheit ihrer Programmierung war die Kapsel darum bemüht, sich von der Eiswand zu entfernen.
    Die Insassen hingegen konnten nicht viel mehr tun, als sich festzuhalten und die eigene Übelkeit zu bekämpfen. Immerhin besaßen zwei der drei Personen auch noch den Willen zu beten.
    Ob das nun half oder nicht, jedenfalls gelangte das Boot aus der Gefahrenzone heraus, von einem Wellental ins nächste stürzend. So ging das Stunde um Stunde, während derer Bobeck, Semper und Reisiger eine Art von Betäubung ereilte, wie unter den dauernden Schlägen eines Gegners stehend, welcher mit der Zeit ebenfalls seine Kraft einbüßt. Sodaß die drei Passagiere schlußendlich mit den Erschütterungen, denen sie ausgeliefert waren, in eine Umarmung gerieten. In dieser Umarmung geborgen, fielen sie in einen Schlaf, der etwas von einer betonierten Wolke hatte.
    Als sie erwachten, eben nicht wie man aus einem normalen Schlaf erwacht, sondern nach dem Ende eines mühsamen Konzerts oder einer noch mühsameren Parteitagsrede die Augen aufschlägt, fiebrig, ermattet, aber auch befreit, war der Seegang um einiges erträglicher. Durch die beiden poligen Luken fiel ein schwacher Schein von Tageslicht, der durch die Wellen drang, die gegen die beiden Fenster schlugen.
    »Scheint, wir haben es überstanden«, sagte Bobeck. »Den ersten Teil zumindest.«
    Er erhob sich, wobei er gezwungen war, eine gebeugte Haltung einzunehmen, um nicht gegen die Decke zu stoßen. Solcherart gedrückt und gekrümmt, stellte er sich vor einen der beiden Monitore und berührte mit seiner Fingerkuppe ein vorgegebenes Feld. Auf dem Bildschirm tauchte eine Karte auf, die der eigenen Positionsbestimmung diente.
    »Das erstaunt mich«, kommentierte Bobeck, was er da erkannte. »Und erschreckt mich.«
    Wie sich herausstellte, war man entgegen jener südöstlichen Richtung, mit welcher etwa der Schweinskopf-Eisberg auf Barbara zutrieb und sie wohl demnächst erreichen würde, nordwärts getrieben. Beziehungsweise getrieben worden, dank jenes Motors, der einen davor bewahrt hatte, an der Eiswand Barbaras zu zerschellen. Mit derselben Hartnäckigkeit steuerte das Rettungsboot nun Richtung Labradorsee, jenem gleichnamigen Strom widerstehend, der ja dafür verantwortlich war, daß dicke Kerle wie Schweinskopf so tief in den Süden vordringen konnten.
    Dies entsprach nun keineswegs der Programmierung dieser kleinen Überlebenshülse, bedeutete ein Fehlverhalten. Unglücklicherweise schien der Computer, der dies zu verantworten hatte, frei von Zweifeln. Schlimmer noch. Entgegen jenem berühmten Kinderliedsänger HAL aus 2001 , der immerhin zur Kommunikation bereit gewesen war und den Menschen die Illusion der Veränderbarkeit gelassen hatte, ließ sich diese namenlose Maschine in keiner Weise auf eine Diskussion ein, verfolgte stur den einmal eingeschlagenen Kurs und übermittelte mit bürokratischer Treue Wetterprognosen, Meerestiefen, technische Daten das Boot betreffend, auch Unterhaltendes, auch Sinnvolles, etwa Vorschläge zur Rationierung der an Bord vorhandenen Verpflegung, auf daß man auch längere Zeit würde durchhalten können.
    Warum längere Zeit?
    Nun, es gehörte selbstredend zur Aufgabe eines solchen Computers, sämtliche Eventualitäten zu berücksichtigen. Dennoch konnte auch Reisiger sich nicht ganz des Eindrucks erwehren, daß diese Maschine etwas ahnte.
    Jedenfalls war sie in keiner Weise bereit darzulegen, warum die Küste Grönlands angesteuert wurde und damit eine Gegend, in die man wirklich nicht wollte. Und welcher man noch dazu den Grund dieser Flucht überhaupt erst verdankte. Einem ihrer Fragmente, von denen natürlich, um so weiter man nach Norden vordrang, immer mehr herumschwammen, wobei der Computer sie erkannte und umschiffte. Solang das eben noch ging.
    Es versteht sich, daß Bobeck alles unternahm, um Hilferufe auszusenden und die Position der dreiköpfigen Gruppe durchzugeben. Doch entweder wurden sie nicht gehört oder die Signale nie wirklich gesendet.
    Man kann nicht sagen, daß etwas Mysteriöses um dieses Boot gewesen wäre. Es funktionierte ganz einfach nicht. Beziehungsweise nur insofern, als es seine Benutzer am Leben hielt, mit Frischluft versorgte, mit Wärme, mit Nahrungsmitteln, wenngleich leider nicht mit Alkohol. Ein Umstand, der Reisiger, welcher ja über eine einzige Flasche Bols verfügte, die er wie ein zweites Herz unter seinem Jackett trug, mit der allergrößten Sorge erfüllte. Wenn hier jemand von Anfang an

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