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Der Umfang der Hoelle

Der Umfang der Hoelle

Titel: Der Umfang der Hoelle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Steinfest
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weiteren, diesmal gegen die Hüfte gerichteten Fußtritt nach vorn. Der Mann prallte gegen die Wand und fiel zu Boden. Dabei entließ er einen kurzen Schrei und einen langen Fluch. Sein Gesicht verblaßte. Der ganze Kerl verblaßte.
    Die anderen drei oder vier Männer rutschten gleichzeitig von ihren Hockern. Aber es war bloß wie ein Zucken, ein folgenloser Affekt. Sie hatten nicht wirklich vor, einzugreifen und ihre ohnedies mürbe Gesundheit zu riskieren.
    »Der Kaffee!« sagte Bettys Ehemann, wie einer dieser Schauspieler, die ganz wenig Text zu sprechen haben, das Wenige aber immer zu spät oder zu früh anbringen. Dabei stellte er zwei hohe, bis knapp unter den Rand mit einer nougatfarbenen Flüssigkeit gefüllte Tassen auf den Tisch.
    »Sehr schön«, sagte Turinsky und nahm wieder Platz.
    Der gefallene Österreicher, der sich jetzt vom Boden erhob, hätte ihr von hinten eins überziehen können. Aber offensichtlich ahnte er, daß eine Frau, die so zu kämpfen verstand, auch im Rücken Augen besaß. Und was sie sonst noch auf Lager hatte. Wie gesagt, er war kein dummer Mensch. Er wußte, wann es besser war, statt des Draufgängers den Amüsierten zu markieren. Also sagte er: »Danke für das Sparring, gnädige Frau« und setzte sich wieder an seinen angestammten Platz. Die restlichen Männer mit ihm, als wären sie die Daltons.
    »Gottseibeiuns!« ließ sich Reisiger nach einem ersten Schluck Kaffee vernehmen, meinte aber nicht das Getränk, sondern Kim Turinskys Kampfstil. »Was sind Sie? So eine Art Emma Peel?«
    »Sie werden es nicht glauben«, antwortete Turinsky, »ich kann sogar Auto fahren.«
    »Was soll das jetzt wieder bedeuten?«
    »Finden Sie es wirklich so erstaunlich, wenn eine Frau in der Lage ist, einen Alkoholiker außer Gefecht zu setzen?«
    »Ich halte das nicht für die Regel«, erklärte Reisiger.
    »Sollten Sie aber. Heutzutage ist schon jede Vierzehnjährige im Nahkampf ausgebildet. Die weibliche Scheu, jemand die Fresse zu polieren, hat sich deutlich verringert.«
    »Sie sind aber keine vierzehn.«
    »Richtig. Ich gehöre zur alten Generation. Darum auch diese gewisse Hemmung.«
    »Was für eine Hemmung?« wunderte sich Reisiger.
    »Ich könnte niemand mitten ins Gesicht schlagen. Zwischen die Beine, ja. Gegen die Beine, ja. Ins Gesicht aber, das widerstrebt mir. In ein Gesicht schlagen, käme mir vor, als wollte ich ein Buch verbrennen.«
    »Meine Güte! Was für ein Vergleich?«
    »Ist mir gerade so eingefallen«, erklärte Turinsky trocken und trank ihren Kaffee mit sichtbarem Genuß. »Kaffee können Sie machen, die Österreicher. Das alleine wäre ein Grund, in dieses Land zu ziehen. So wie es ein Grund ist, des Kaffees wegen Deutschland zu verlassen.«
    »Sie übertreiben«, sagte Reisiger.
    »Wer nicht?« meinte Turinsky und winkte Bettys Gatten zu sich, dem man eigentlich auch als Herrn Betty hätte bezeichnen können.
    »Könnten Sie uns ein Frühstück machen?« fragte Kim Turinsky. Dabei lächelte sie geradezu verführerisch. Der Umstand, soeben einen großen, schweren Mann zu Fall gebracht zu haben, schien sich auf ihre Laune durchaus positiv auszuwirken.
    Allerdings erklärte Herr Betty, auf die Zubereitung eines umfassenden Frühstücks nicht eingerichtet zu sein. Mehr als ein Schinkenkäsetoast stehe nicht auf dem Programm.
    »Sie schaffen das schon«, sagte Turinsky. Und fügte hinzu: »Wir haben Zeit.«
    Die Männer an der Theke seufzten. Herr Betty verschwand. Und zwar tatsächlich für einige Zeit, um hernach mit einem herrlichen Frühstück wieder aufzutauchen. Ein Frühstück, welches dampfte und glänzte wie der junge Morgen selbst. Die Männer an der Theke trauten ihren Augen nicht.

Liebe auf den ersten Blick
    Später am Morgen fuhren Reisiger und Turinsky hinüber in die Altstadt, wo sie ein wenig herumspazierten und in einem teuren Kaffeehaus eine Melange konsumierten, die in keiner Weise an jenen Kaffee heranreichte, den der Gatte von Frau Betty gezaubert hatte. So gesehen blieben Herr Betty und seine frühen Stammgäste der Erinnerung Reisigers ewig erhalten. Ein guter Kaffee ist mitunter dem Gedenken eher würdig als eine schlechte Ehe oder was auch immer Reisiger gerne jener Vergeßlichkeit anheimgestellt hätte, die ein gewisser Felix von Haug einst postuliert hatte.
    Wie am Tag zuvor die Stadt München lag auch Linz in eine derart klare und milde Luft eingehüllt, daß die meisten Passanten dazu übergingen, sich ihrer Mäntel und Jacken zu entledigen,

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