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Der Umfang der Hoelle

Der Umfang der Hoelle

Titel: Der Umfang der Hoelle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Steinfest
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haben Sie.«
    »Danke«, sagte Pliska, wie man sagt: Sie auch.
    Während Tom Pliska vorausging, bremste Turinsky ihren Schritt ein, zog Reisiger etwas zur Seite und fragte in leisem Ton: »Es stört Sie doch nicht, wenn ich Leo zu Ihnen sage?«
    »Nein. Wo wir doch alte Bekannte sind.«
    »Eben. Übrigens hättest du mir ruhig sagen können, was du für Claire Rubin getan hast«, wechselte Turinsky zwanglos die Anrede.
    »Sie hat etwas für mich getan«, berichtigte Reisiger. »Zumindest tut sie so, als hätte sie diesen Mann nur erstochen, um mir das Leben zu retten.«
    »Das klingt, als ob du ihr das nicht abnehmen würdest.«
    »Nun, du selbst hast die gute Frau als punktgenau bezeichnet. Und punktgenau hat sie auch zugestochen. Sie hätte genauso punktgenau auf eine weniger verletzliche Stelle zielen können. Das gibt mir zu denken. Aber wir werden ja sehen, was wirklich von ihr zu halten ist.«
    »Bist du hier, um den Detektiv zu spielen?« fragte Turinsky.
    »Ich bin hier, um mein Leben zu zerstören«, erklärte Reisiger.
    »Das ist ein Witz.«
    »Natürlich«, sagte Reisiger und unterbrach das Gespräch mit einer tilgenden Geste.
    Man war vor Pliskas Citroën zum Stehen gekommen, tatsächlich ein schönes Auto, wie man es selten noch sieht. Inmitten der anderen geparkten Karossen glich es mit seinem langen, tiefliegenden Körper, dem weißen Dach und der schwarzblauen Lackierung weit weniger einem Käfertier als einem Wal, genaugenommen einem Orca. Ein Auto wie eine intelligente Bestie. Man hätte allerdings auch sagen können, daß dieser Wagen eine lange Schnauze und einen kleinen Arsch besaß, weshalb eigentlich weniger von einer Göttin die Rede hätte sein müssen – wie die Franzosen das taten – als von einem Gott. Faktisch wäre zu sagen, daß dieses Modell über freiliegende Scheinwerfer verfügte, somit vor 1967 gebaut worden war. Danach waren die Hersteller zu Glasabdeckungen übergegangen, gläserne Särge fürs Licht.
    »Ein Traum, nicht wahr?« schwärmte Pliska, wirkte jetzt zum zweiten Mal in kurzer Zeit wie frisch verliebt, öffnete vorne und hinten eine Türe und bat einzusteigen.
    Eine Aufforderung, der als erster der Hund nachkam, welcher auch in dieser Situation bewies, mit seiner Prothese umgehen zu können.
    Obgleich Reisiger wenig Lust hatte, neben einem Tier zu sitzen, bat er seine »liebe Kim«, auf dem Beifahrersitz Platz zu nehmen. Ihr die Tür zu schließen, überließ er Pliska, der noch schnell in seine goldene Schmuckdose griff und sich eine kleine Aufputschung genehmigte.
    Wie Reisiger befürchtet hatte, entsprach Pliskas Fahrstil seinem exzessiven Drogenkonsum. Nicht, daß Bobecks Sekretär in jeder Kurve das Leben seiner Mitfahrer riskierte, auch fuhr er nicht schneller, als es im Falle eines nicht mehr ganz jungen Motors angebracht war. Jedoch schien er sich nur halb – oder weniger als halb – auf den Verkehr zu konzentrieren, hielt das schlauchartig aus dem Bord ragende Lenkrad wie eine kleine, silberne Dessertgabel und schwenkte seinen Kopf unentwegt in Turinskys Richtung, hin und wieder auch zu Reisiger oder Vier in den Fond. Dabei sprach er viel über den Wagen, legte motorische und historische Details dar, zählte sämtliche Besitzer auf, etwa jene Operndiva, die sich allein zum Singen in ihr Gefährt gesetzt hatte, und lobte die kühle Eleganz des Armaturenbretts. Obgleich er also kaum auf den Verkehr achtgab, kritisierte er ganz grundsätzlich die Fahrweise seiner Mitmenschen, was er in einen Zusammenhang mit deren Geschmacklosigkeit in puncto Autokauf brachte. So behauptete er, daß Menschen, die deutsche oder japanische Autos erstanden, sich im Verkehr wie Schweine verhielten. Und hinter ihren Windschutzscheiben auch wie Schweine aussahen. Dabei schien Pliska keine Sekunde auf die Idee zu kommen, daß Reisiger oder Turinsky eventuell ein deutsches oder japanisches Auto besaßen. Im Falle Turinsky konnte er sich das vielleicht auch beim besten Willen nicht vorstellen, nicht bei einer Frau, die Majakowskijs 150 000 000 auf der Brust trug.
    Daneben flog die Landschaft vorbei, wie Landschaften das bei einiger Geschwindigkeit zu tun pflegen, wobei sie dann weniger verzerrt als gekämmt anmuten. Jedenfalls war festzustellen, daß die Landschaft, durch die der Citroën gesteuert wurde, zusehends an Schönheit gewann, um so mehr, als man sich den Bergen näherte.
    Nicht, weil Berge schön sind. Berge sind maximal hoch und ziemlich trostlos. Aber jene Gegenden, die

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