Der Umfang der Hoelle
Tom Pliska nun ein rasiertes, glattes Gesicht. Seine Augen freilich verfügten über dieselbe Glasigkeit und stechende Schärfe, die Reisiger von Anfang an so zuwider gewesen war. Pliskas Huskyaugen.
Nur einen Moment schien Bobecks Sekretär überrascht, daß Reisiger nicht aus der Richtung kam, aus welcher er hätte kommen müssen, dann entließ er ein knappes Lächeln und sagte: »Schön, daß Sie da sind.«
»Nicht alleine«, erwiderte Reisiger und stellte Kim Turinsky als eine Bekannte aus München vor, wobei er sich kurz zu ihr hindrehte und meinte: »So kann man es doch sagen?«
»Ich wollte unbedingt mit«, erklärte Turinsky. »Auch auf die Gefahr hin, Umstände zu machen.«
Einen Moment wirkte Pliska verunsichert. Dann lächelte er erneut, weniger knapp als noch zuvor und versprach, alles zu tun, damit Frau Turinsky sich im Hause Siem Bobecks wohl fühlen werde.
»Was?« zeigte sich Turinsky erstaunt und erfreut. » Der Siem Bobeck. Der Mann von Claire Rubin.«
»Wußten Sie das nicht?«
»Leo hat bloß erzählt, er sei nach Purbach eingeladen worden. Von Siem Bobeck und Claire Rubin war nie die Rede. Nicht wahr, Leo?« Dabei sah sie Reisiger vorwurfsvoll an, halb spielerisch, wie einen alten Freund, der das Beste für sich behält.
Kim Turinsky verriet nun, daß sie für Claire Rubin schwärme. Aber wer tue das nicht? Obwohl das eigentlich nicht die Musik sei, für die sie sonst etwas übrig habe. Aber Claire sei einfach wunderbar, besitze genau die Ausstrahlung, die man sich als Frau wünsche. Punktgenau. Perfekt. Nichts Verschwommenes, keine Koketterien. Wenn süßlich, dann süßlich. Wenn streng, dann streng.
»Aber Sie wissen doch sicher«, sagte Pliska, »in welcher Weise Frau Rubin und Herr Reisiger verbunden sind?«
»Wie verbunden?« Kim Turinsky hob fragend die Hände.
Pliska runzelte die Stirn derart, daß ein Grätenmuster seine Haut verunzierte. Er sagte: »Jetzt bin aber ich es, der hier verwirrt ist. Wollen Sie mir weismachen, Sie wüßten nicht, daß Herr Reisiger es gewesen war, der versucht hat, Claire Rubin vor einer Horde rabiater Hooligans zu schützen? Woraus sich dann unglücklicherweise eine tödliche Notwehr ergeben hat.«
Turinsky blickte Reisiger mit großen Augen an, wandte sich dann wieder an Pliska und sagte: »Mein Gott, ich hatte ja keine Ahnung. Leo hat mir nichts davon erzählt. Natürlich weiß ich von der Geschichte. Aber in der Zeitung war ja bloß von einem Geschäftsmann die Rede. Kein Name.«
Nun, das war richtig. Die Presse hatte in dieser Hinsicht seltene Enthaltsamkeit geübt, entweder Reisiger als Zeugen oder als Opfer oder einmal als Leo R. tituliert.
Doch Pliska war noch nicht zufrieden. Er gab zu bedenken, daß Reisigers Konterfei mehrfach abgebildet gewesen sei.
»Nicht in der Süddeutschen «, sagte Turinsky. »Was denken Sie, daß ich mir jedes Käseblatt ansehe, das zwischen Klagenfurt und Lübeck erscheint? Und im Fernsehen war allein von Claire Rubin die Rede. Aber ich sehe schon, Sie halten mich für eine Lügnerin, die bloß wild darauf ist, den Bobecks ein Souvenir abzuluchsen. Für ein verrücktes Groupie. Oder eine Klatschreporterin.«
»Frau Turinsky baut Brücken. Autobahnbrücken«, fühlte sich Reisiger bemüßigt darzulegen.
Pliska war mit einem Mal weich wie eine von diesen Käsesorten, die über Tische wandern. Er beeilte sich zu erklären, daß er Frau Turinsky sicher nicht für ein Groupie oder eine Journalistin halte, er müsse bloß vorsichtig sein. Sein Job zwinge ihn dazu.
»Herr Pliska ist der Sekretär von Herrn Bobeck«, setzte Reisiger seine Rolle als Conférencier fort.
»Schön«, sagte Turinsky, Pliska die Hand reichend, »ich verstehe Sie ja. Wenn Sie wollen, schicken Sie mich nach München zurück. Einfach der Sicherheit halber.«
»Kommt gar nicht in Frage«, erwiderte Pliska.
Die beiden sahen sich jetzt an, als hätten sie soeben beschlossen, so ziemlich den Rest ihres Lebens die Hand des anderen nicht mehr loszulassen. Reisiger überlegte, nie zuvor eine solche Situation beobachtet zu haben, eine Situation, die man allgemein als »Liebe auf den ersten Blick« bezeichnet. Ein wenig fand er es rührend, ein wenig auch lächerlich. Und ein wenig stach ihm der Neid in die Brust. Er sagte: »Können wir?«
»Selbstverständlich«, erklärte Pliska, seinen Blick weiterhin auf die Frau gerichtet, deren Hand er nur zögerlich losließ.
Beim Hinaustreten aus der Halle äußerte Turinsky: »Einen süßen Hund
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