Der Umfang der Hoelle
erleuchteten Kuppelsaal betrat, dessen Deckenfresko übrigens eine Apotheose der Sternenguckerei darstellte, war das Fest bereits in vollem Gange. Auffallend dabei war der Umstand, daß die Uniformität, mit der üblicherweise die männlichen Wesen solche Veranstaltungen schmückten oder eben nicht schmückten, diesmal von den Frauen erfüllt wurde. Dadurch nämlich, daß sie ausnahmslos, erst recht die schmollenden Serviererinnen, in Schwarz gekleidet waren.
Einen kurzen Moment realisierte Reisiger diesen Wechsel nicht und glaubte sich mit seinem graubraunen Anzug deplaziert. Was schon eine Kunst gewesen wäre. Dann aber wurde ihm klar, daß die Männer – wenngleich nicht unbedingt farbenfroh – so doch mit einiger Freiheit in Fragen der Bekleidung hier auftraten. Nachgerade farbenfroh allerdings präsentierte sich Tom Pliska, der unter seinem blau und weiß gestreiften Sommeranzug ein poppig leuchtendes Hemd in der Art einer Kinderzimmertapete trug. Auch gab es ein paar Männer mit Seidenschals und bunten Brillen. Hin und wieder blitzte ein helles Jackett auf. Freilich dominierten Smokings, die sich folgerichtig ins durchgehende Schwarz der Damenbekleidung einfügten.
Es versteht sich, daß die Damen weder in Schuluniformen herumliefen noch den Eindruck einer Armee von Witwen machten, vielmehr bot sich ein Querschnitt aktueller Mode, vom kleinen Schwarzen über das große Schwarze, von Bustierkleidern bis zu hin zu strengen Hosenanzügen. Die Hausherrin, schwarz wie alle anderen, trug etwas, das zwar von den Füßen bis zum Hals ihren gesamten Körper verdeckte, aber in erster Linie durchsichtig zu nennen war. Solcherart hätte sie in eine strenge Kammer gepaßt, allerdings in die vornehmste aller strengen Kammern. Sie war umgeben von einer Runde von Herren, die aufgeregt und lustvoll durcheinandersprachen. Sie selbst schwieg, lächelte, hörte aufmerksam zu, wie man Kindern aufmerksam zuhört, um deren Entwicklung nicht zu gefährden.
Reisiger mischte sich ins Publikum, wich einem Sektglas aus, einem zweiten, um sodann Halt bei einem Glas Port zu finden, das ihm Susanne reichte.
»Ich soll Sie zu Herrn Bobeck führen«, sagte Susanne.
»Gerne«, meinte Reisiger mit Unbehagen, nahm einen vollen Schluck und folgte seiner Führerin durch das Gedränge.
»Ach, da sind Sie ja«, empfing Bobeck seinen speziellen Gast und stellte ihn einer kleinen Runde vor: »Das ist unser Herr Reisiger.«
Der solcherart Vorgestellte fühlte sich wie ein obskures Schauobjekt, wie ein Mann ohne Unterleib oder so. Er verbeugte sich leicht. Die Leute machten wohlwollende Gesichter. Keiner von ihnen gehörte zu der Gruppe, mit der Reisiger mittags bekannt geworden war. Dennoch schien man zu wissen, wer er war.
»Respekt«, sagte ein kleiner, dicker, rotgesichtiger Mann, der aber nichts von einem Detektiv an sich hatte. »Beeindruckendes Verhalten, wenn man daran denkt, mit was für Gestalten Sie sich da angelegt haben. Aber Sie sind ja auch ein kräftiger Mann. Karate? Boxen?«
»Ein wenig Boxen«, gestand Reisiger, wie man Krampfadern gesteht.
»Eine Sportart, die wieder in Mode gekommen ist«, stellte der Rotgesichtige fest.
»Nackte Männer, die fürchterlich schwitzen«, urteilte die Dame an seiner Seite, so eine Art in die Jahre gekommenes Modell.
»Ich dachte«, meinte Bobeck, »Frauen mögen das.«
»Männer denken das«, antwortete die Frau, »immer dann, wenn sie schwitzen.«
»Na ja. Das ist nicht unser Thema«, erledigte Bobeck diese Abschweifung und machte Reisiger nun mit den umstehenden Personen bekannt, darunter auch einem jungen Pfarrer, der Purbach und die umliegenden Ortschaften betreute und den schönen Namen Marzell trug. Er sah wie einer von diesen Geistlichen aus, die die Phantasie weiblicher wie männlicher Gemeindemitglieder im höchsten Maße anregen. Kein Beau, das nicht, aber ein gepflegter, ein intellektuell elitär und traurig anmutender Mensch: ein Theologe, kein Seelsorger. Schwer vorstellbar, daß ihn die religiösen Empfindungen der Purbacher groß kümmerten. Er hielt einen Aschenbecher in der Hand und rauchte eine nach der anderen. Er tat dies mit der Eleganz seiner ganzen nachdenklichen Erscheinung. In seiner Kettenraucherei schien nicht der geringste Makel zu stecken. Als handle es sich vielmehr um ein notwendiges Beiwerk seiner radikalen Ernsthaftigkeit. Reisiger fand ihn sofort sympathisch. Daß umgekehrt Pfarrer Marzell jemanden sympathisch finden konnte, war eigentlich schwer
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