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Der Umfang der Hoelle

Der Umfang der Hoelle

Titel: Der Umfang der Hoelle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Steinfest
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vorstellbar.
    »Wir sprachen gerade über das Fegefeuer«, erklärte Bobeck an Reisiger gewandt. »Wegen des Buchtitels meiner Frau. Sie wissen schon: Der Umfang der Hölle . Was natürlich im übertragenen Sinn gemeint ist. Es geht da um die Hölle in den Köpfen labiler Norweger. Aber der Titel hat unseren Herrn Pfarrer dazu animiert, die Frage nach der Größe der Hölle ernst zu nehmen. Wenn man denn an die Hölle glaubt und sie sich als einen konkreten Ort vorstellt. Mir erscheint das – bei allem Respekt – ziemlich abwegig.«
    »Konsequent«, erwiderte Marzell. »Es geht immer um die Konsequenz. Für den Gläubigen wie den Nichtgläubigen. Ich schätze es immens, wenn jemand sich brav an die Naturwissenschaften hält. Aber dann bitte auch richtig. Dann soll allein das Sicht- und Erfahrbare zählen. Und kein Wort über eine Hölle, die man sich irgendwie anders vorzustellen hat.«
    »Sie meinen«, folgerte Bobeck, »daß ein Mensch, der sich für aufgeklärt hält, nicht gleichzeitig an Gott, an Erlösung und Verdammnis glauben kann.«
    »Er kann – wie Sie das tun – in die Kirche gehen. Der Ordnung halber. Des Spaßes wegen. Um die Kühle im Sommer zu genießen. Ein Altarbild zu betrachten. Das Flackern der Kerzen. Die Ruhe. Die Leere. Wie er möchte. Aber er darf nicht versuchen, seine Wissenschaftsgläubigkeit und seine Gottgläubigkeit unter einen Hut bringen zu wollen. Morgens glaubt er an die Hölle und am Abend an die Physik der Teilchen. Sodaß er bald beginnt, sich die Hölle als ein bloßes Bild zu erklären, eine Metapher, deren wirkliche Ausprägung schlußendlich mit Quantenmechanik und Relativitätstheorie in Einklang zu bringen sein wird. Die Menschen stellen sich eine naturwissenschaftlich korrekte Hölle vor. Das ist Humbug. Die Leute sind einfach nur zu faul und zu ängstlich, die Resultate objektiver Erkenntnis zu respektieren: ein Universum, dessen absolut einziges Ziel darin besteht, kalt zu werden.«
    »Das ist aber sicher nicht das«, grinste der Rotgesichtige, »was Sie denken, Herr Pfarrer, oder?«
    »Natürlich nicht. Ich halte die objektive Erkenntnis für einen Trugschluß. Aber ich achte Menschen, dir ihr konsequent folgen. Und die nicht mit den Zähnen zu klappern beginnen, wenn sie das Nichts erkennen, aus dem sie kamen und in das sie wieder gehen. Während all die Zähneklapperer in die Religion flüchten, um sich anderntags wieder über Leute lustig zu machen, welche die Hölle für alles andere als eine bloße Illustration halten.«
    »Das klingt ausgesprochen konservativ«, sagte die Frau, die sich so wenig für schwitzende Boxer begeistern konnte.
    »Ganz im Gegenteil.« Es war Reisiger, der das gesagt hatte. Man betrachtete ihn mit Verwunderung, als sei es vermessen, wenn ein »Mann ohne Unterleib« sich in eine solche Diskussion mischte. Aber es war nun mal so, daß Reisiger kein Depp war, und zwar trotz seines Desinteresses an der Welt jenseits seiner Leidenschaften. Er erklärte, es sei ein Unding heutiger, liberaler Systeme, einen Mischmasch sich widersprechender Werteordnungen vorzunehmen. Nicht, weil diese Verquickung unmoralisch sei, sondern vielmehr unmöglich. So wie Pfarrer Marzell modernerweise dargelegt habe. Die meisten Menschen würden sich die eigenartige Freiheit zugestehen, Gott zu töten, um ihn gleich darauf wieder zum Leben zu erwecken. Je nach Bedarf.
    »Das kann man doch tun«, meinte einer von den Herren mit Seidenschal. »Man nennt das wohl Dialektik. Soweit ich weiß, eine vernünftige, gefragte Technik.«
    »Gefragt schon«, wandte Bobeck jetzt wieder ein, »gefragt wie Schokolade, von der man nicht dick wird. Gibt es aber nicht, zumindest nicht wirklich. Ich muß da ebenfalls unserem Herrn Pfarrer recht geben, auch wenn ich bekanntermaßen auf der anderen Seite stehe. Dort, wo mit Sicherheit keine Hölle auf uns wartet, nicht klein, nicht groß, auch nicht im übertragenen Sinn wie im Buch meiner lieben Frau. Sondern eben nur das, was Jacques Monod die gleichgültige Leere des Universums nennt. Auf das gleichgültig kommt es an. Ein gehässiges Universum, das wäre tröstlich, ein gleichgültiges aber zerreißt einem das Herz. Darum flüchten die Menschen ja nicht nur zu Gott, sondern sich auch in die Vorstellung von einer Hölle. Immer noch besser als ein gleichgültiges Universum.«
    »Sie sind doch ein eifriger Kirchgänger, heißt es«, sagte der Rotgesichtige.
    »Ein-, zweimal die Woche, das gönne ich mir«, gestand Bobeck. »Wie Pfarrer

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