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Der Umfang der Hoelle

Der Umfang der Hoelle

Titel: Der Umfang der Hoelle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Steinfest
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der Rotgesichtige zu bedenken und gab auch zu bedenken, daß etwa der italienische Fußball puristischer sei als jeder andere.
    »Der italienische Fußball«, erklärte Marzell streng, »stellt den kümmerlichen Rest von Verstand dar, über den ein jedes Volk in Ansätzen verfügt.«
    »Darf man als Priester so reden?« fragte die Frau neben dem kleinen, dicken Mann.
    »Wo liegt das Problem?« meinte Marzell. »Habe ich behauptet, Spanier und Italiener kämen automatisch in die Hölle?«
    Siem Bobeck schien die Entwicklung des Gespräches zu mißfallen. Er unterbrach gebieterisch das Südländer-Thema und referierte nun in einer Weise über Aminosäuren, Nukleotide und Makromoleküle, über Ursuppen und Urzellen, die wirklich niemand hier verstand, um zuletzt zu erklären, daß er sich eine Hölle – an die er natürlich nicht glaube –, wenn schon, dann als einen unglaublich kleinen Feuerball vorstelle, dessen infernalische Größe schlichtweg in seiner extremen Winzigkeit und Enge bestehe. Er sagte: »Denken Sie sich eine japanische U-Bahn während der Rush-hour, und Sie wissen, was ich meine.«
    Bevor jemand dazukam, etwas zu erwidern oder auch nur beizustimmen, wurde alle Aufmerksamkeit im Saal auf die unüberhörbar laute Stimme eines Mannes gelenkt, der auf einen Schemel gestiegen war und das verehrte Publikum einen Moment um Ruhe bat. Dieser beleibte, bärtige, braungebräunte Mensch, der in seinem Smoking steckte wie ein Badender in einem viel zu engen Holzbottich, hielt nun eine Lobrede auf die Gastgeberin und erklärte, welches Glück es für ihn als Verleger darstelle, daß sich die Rubin von der Schlagerkunst abgewandt und für die Literatur entschieden habe.
    »Was für ein Geschwafel«, ließ sich Bobeck vernehmen, wobei er so leise sprach, daß nur Reisiger und vielleicht noch Pfarrer Marzell ihn verstehen konnten. Ein wenig stand seine ablehnende Haltung im Widerspruch zur allgemeinen Behauptung, daß er es gewesen sei, welcher Claire Rubin dazu veranlaßt hatte, sich vom Musikgeschäft zurückzuziehen. Nichtsdestotrotz schien Bobeck die fiktive Welt norwegischer Grübler für einen schlechten Ersatz zu halten. Oder es nervte ihn auch nur, wenn irgendein Elefant von Büchermacher sich die Freiheit nahm, sein beträchtliches Gewicht auf einen zierlichen, nicht ganz wertlosen Empire-Schemel zu stellen, um möglicherweise dieser kleinen Antiquität Schaden zuzufügen.
    »Wir lieben deine Bücher«, sprach der Verleger und beugte sich gefährlich in Richtung Claire Rubin. »Wir lieben dich und deine Bücher. Wir lieben deine unglücklichen Norweger mit ihrer brillanten Schwermut. Wir lieben deinen wunderbaren Gatten …«
    »Der Kerl hat schon wieder zuviel getrunken«, kommentierte der wunderbare Gatte.
    »Wir lieben dieses Haus, die Gastfreundschaft, die Anmut der Landschaft, den Geruch von Pilzen und Tannennadeln, den ein jedes Zimmer durchweht, die harten Betten in den Pensionen, die gewitzten Österreicher, den Geist eines alten Habsburgers, der über unseren Häuptern schwebt, wir lieben es, ein paar Tage weg zu sein von Frankfurt und München und Berlin, fern dieser unfreundlichen Städte, die uns mürbe machen, uns das Geld aus der Tasche ziehen, uns in jeder Hinsicht aussaugen und so manchen Schlaf rauben. Hingegen habe ich nie besser geschlafen als in Purbach. Man könnte meinen, der liebe Gott persönlich hätte dieses idyllische Plätzchen für uns reserviert.«
    Pfarrer Marzell verdrehte die Augen. Bobeck tat es ihm gleich.
    »Bevor nun also«, fuhr der Verleger fort, »das wunderbare neue Buch unserer lieben Claire das Licht der literarischen Welt erblickt, bevor wir es mit allem angemessenen Aufwand in das Rennen um die ersten Plätze auf den Bestsellerlisten schicken – und ich bin mir sicher, daß nur ein erster Rang in Frage kommt, etwas anderes darf gar nicht in Frage kommen, kommt auch nicht in Frage – und bevor noch einer von den gefräßigen Feuilletonisten es auf seinen Schreibtisch gepfeffert kriegt, habe ich heute die Freude, das Plakat zu präsentieren, mit dem wir dieses Buch Der Umfang der Hölle bewerben wollen. Denn es ist so: Claire hat Werbung nicht nötig, sie hat sie sich verdient. Die beste Werbung.«
    Der Mann blieb auf dem Schemel, vollzog jedoch eine ballettartige Drehung und gab ein Zeichen, woraufhin im rückwärtigen Teil des Saals, aus einiger Höhe, sich eine frei hängende Rolle zu einem Tableau von der Größe eines der üblichen, auf Straßen

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