Der Umfang der Hoelle
Freund, eine wahre Liebe oder einen mondartigen Begleiter vorzustellen.
Und nun war es also doch geschehen. Die Zahlen auf dem Fernsehbildschirm und die Zahlen auf Reisigers Schein glänzten in Eintracht. Selbst die sogenannte Superzahl stimmte. Allerdings war das Ziel noch nicht wirklich erreicht. Eine Angst, drängender denn je, erfüllte Reisiger. Was war, wenn eine ganze Horde von Spielern ebenfalls besagte Zahlen erraten hatte?
Es ging dabei nicht allein ums Geld, es ging um die Leidenschaft als solche. Wer wollte etwa die Frau seines Lebens mit anderen teilen? Was wäre das für ein Glück gewesen? Ein schreckliches, eines, das erniedrigte, das einem Tränen der Wut und Bitterkeit in die Augen trieb. Ein Glück als Unglück. Die Angst lähmte Reisiger. Es muß gesagt werden: Sein Verstand drohte zu kippen. Anstatt am nächsten Tag sofort zum Hörer zu greifen und sich der zuständigen Stelle als Gewinner vorzustellen, wartete er ab, tat auch nichts, um so rasch als möglich etwas über die Ausschüttung der Gewinne in Erfahrung zu bringen, und erhielt erst nach und nach Kenntnis davon, daß er ganz offensichtlich der einzige war, der diesen gewaltigen Pot geknackt hatte. Anstatt sich jetzt aber endlich aus seiner Paralyse zu befreien, verstrickte er sich immer mehr in das Unglück seines Glücks.
Wenn zuvor gesagt worden war, daß man eine geliebte Frau kaum mit jemand anderem teilen möchte, so kann es umgekehrt geschehen, daß die Eroberung eines überirdisch schönen und überirdisch gütigen Wesens sich eigentlich nur noch als ein hundsgemeiner Trick erklären läßt. Ein Trick, hinter dem jemand stehen muß, den ein Christ, der es auch ernst meint, zwangsläufig als den Teufel höchstpersönlich identifizieren muß. Und Reisiger glaubte ja an den Teufel.
Natürlich sagte man das heutzutage nicht mehr so , und Reisiger hätte sich auch gescheut, in einer noch so gottesfürchtigen Gesellschaft es auf diese Weise auszudrücken. Wie schon erwähnt, war er weit davon entfernt, sich den Teufel als mephistophelischen Verführer und Vertragspartner zu denken, welcher beispielsweise in Gestalt eines Tom Pliska oder Siem Bobeck auftrat, um sich eine Seele unter den Nagel zu reißen. Das wäre natürlich platt gewesen, man könnte auch sagen literarisch. Von einem gewieften Erzengel durfte man erwarten, daß er nicht wie Robert de Niro oder Gustav Gründgens durch die Gegend lief und die Intelligenz der Leute beleidigte, indem er Deals anbot, von denen man ja annehmen konnte, daß sie über einen beträchtlichen Haken verfügten. Nein, die Perfidie des Teufels (wie natürlich auch die seines göttlichen Widerparts) bestand darin, sich eben nicht zu zeigen, so wie sich ein Tennisspieler auf der gegenüberliegenden Grundlinie zeigt, um dann ein As nach dem anderen zu schlagen. Reisiger nahm den Teufel ernst. Und auch wenn er bis zu diesem Moment sich nicht hatte vorstellen können, so ganz persönlich in dessen Einflußbereich zu geraten, so erschien ihm nun die Anwartschaft eines geradezu unglaublichen Vermögens als ein untrügliches Zeichen für eine luziferische Intervention. Die ja dann wohl einen Sinn haben mußte, der logischerweise nichts Gutes verheißen konnte.
Reisiger überlegte nun, daß, wenn der Teufel versuchte, ihm ein Bein zu stellen, die einzige Möglichkeit einer Rettung darin bestehen würde, dem Bein auszuweichen. Die Falle quasi abzulehnen, anstatt sehenden Auges und mit falschem Gottvertrauen in selbige hineinzutappen. Denn der Teufel spielt nicht. Und schon gar nicht läßt er sich von guten Taten beeindrucken. Was wäre das auch für ein Teufel? Reisiger war sich somit bewußt, daß es gar nichts bringen würde, den Gewinn anzunehmen und dann lächerlicherweise einen kleinen oder auch noch so großen Anteil einer gemeinnützigen Sache zu überlassen. Genausowenig, wie es einen Teufel hätte milde stimmen können, wenn Reisiger einen Betrag für kriminelle Zwecke gestiftet hätte, um die Niedertracht in der Welt zu fördern. Eine Todesschwadron sponsern, die CIA, die Mafia, das Opus Dei, genforschende Schafzüchter, antisemitische Parteien, Chiquita, was sich so ein linksliberaler Katholik eben unter dem Bösen vorstellte. Gut und Böse waren aber ethische Begriffe, erfunden von Menschen für Menschen. Den Teufel jedoch dachte sich Reisiger frei von solcher Ethik. Unbeeindruckt von den Kategorien sterblicher Wesen. Diese Kategorien bloß benutzend, um seinen Krieg gegen Gott zu führen,
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