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Der Umfang der Hoelle

Der Umfang der Hoelle

Titel: Der Umfang der Hoelle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Steinfest
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konträr zum eigenen Niedergang entwickle.
    Auch sei es keineswegs so, wie immer wieder behauptet werde, daß Bücher für den Autor wie seine Kinder seien. Denn die leiblichen Kinder liebe man natürlich alle mit der gleichen Intensität, wenn auch auf unterschiedliche Weise. Bei Büchern wäre das aber vollkommen anders. Es zähle immer nur dieses eine, an dem man gerade arbeite oder welches man soeben fertiggestellt habe. Wobei man ein solches Buch eben nur dann wirklich lieben könne, wenn es sich zu einem hübscheren und intelligenteren Kind entwickeln würde als seine Geschwister. Sei das nicht der Fall, müsse man mit dem Schreiben aufhören und könne sich getrost auf seinen Lorbeeren ausruhen. Manche Autoren wären damit gut beraten (zustimmendes Gemurmel). Auch sie selbst habe während einiger Phasen ihrer Arbeit überlegt, ob es denn nicht besser wäre, die Schreiberei, wie schon zuvor die Musik, an den Nagel zu hängen (entrüstetes Gemurmel). Diese ihre Unsicherheit habe sie aber zu noch größeren Anstrengungen verleitet, und heute dürfe sie also sagen, daß Der Umfang der Hölle das mit Abstand lieblichste, aufgeweckteste und zukunftsversprechendste Kind darstelle, das sie jemals in die Welt gesetzt habe.
    »So«, sagte Rubin abschließend, »genug von der Liebe gesprochen. Wird Zeit, daß ihr euch amüsiert. Seid also bitte höfliche Gäste und habt Spaß.«
    Erneut brandete Applaus auf, welchen die Rubin einfach dadurch zum Verstummen brachte, indem sie ein Glas hob und durch einen Wink zu verstehen gab, daß es die anderen ihr gleichtun sollten. Es wurde also allgemein nach Gläsern gegriffen, die man in die Höhe hielt und gegen jenen Mittelpunkt richtete, den Claire Rubin bildete. Was den Reiz einer Abstimmung besaß, die ohne Gegenkandidat auskam.
    Nachdem jeder seinen Schluck getan hatte, wurde ein paar Sekunden lang rein gar nichts gesprochen. Bloß eine Art wohlwollendes Gegrunze drang aus den Mündern, wobei sich das Wohlwollende natürlich auf die Rede Claire Rubins bezog, die übrigens mit keinem einzigen Wort ihrem Verleger oder ihrer Lektorin oder ihrem Agenten gedankt hatte, auch nicht irgendwelchen Freunden und Bibliotheken und Kollegen, wie das ja viele Autoren tun, sodaß man sich fragen muß, was das eigentlich für Bücher sind, welche derart viel Unterstützung benötigen, was das für Autoren sind, die die halbe Welt für ihre Arbeit einspannen. Diese ewige Bedankerei in Vorworten und Nachworten und anläßlich von Preisverleihungen war grotesk. Nichts für Claire Rubin. Das hätte schlecht zu ihr gepaßt, wegen irgendwelcher Selbstverständlichkeiten einen Knicks zu machen. Dafür, daß ein Verleger sich ins Zeug legte, sein bestes Rennpferd als erstes durchs Ziel zu bringen. Oder dafür, daß die Lektorin irgendeinen lächerlichen kleinen Irrtum bemerkt hatte. Oder dafür, daß ihre Freundinnen ihr mit vollkommen unnötigen Ratschlägen und Einfällen in den Ohren lagen. Nein, wenn jemand Dank verdiente, war sie selbst es, dafür, daß sie all diese Leute aushielt. Und die Leute wußten das auch.
    So wie Siem Bobeck wußte, daß die Zeit gekommen war, sich zu seiner Frau zu gesellen, um mit ihr zusammen vor dem Plakat zu posieren. Ein einziger Fotograf trat auf, wohl so eine Art Haus- und Hofporträtist, und schoß eine kleine Serie, wobei Siem Bobeck auch noch im Zustand steifer Reserviertheit durchaus attraktiv wirkte, endlich einmal etwas von einem Molekularbiologen an sich hatte. Einem scheuen Genie an der Seite einer ganz umwerfenden Frau. Daß diese Frau nun keineswegs jung war und auch nicht die geringste Schwierigkeit gehabt hätte, für ihre Garderobe und ihren Sportwagen, für die eine oder andere kostspielige Leidenschaft selbst aufzukommen, verlieh dem Paar eine hochgradige Aktualität.
    Die Gesprächsrunden, die vor der kleinen Ansprache Claire Rubins bestanden hatten, fanden nicht mehr zusammen. Neue bildeten sich. Und in keine davon geriet Reisiger, dem es am liebsten gewesen wäre, sich weiter mit Pfarrer Marzell zu unterhalten.
    Der alleingelassene Reisiger wußte nicht so recht, was er tun sollte, zog ein weiteres Glas Rotwein von einem angebotenen Tablett und sah zu, an den Rand der Veranstaltung zu gelangen. Er bezog seinen Platz an einem Durchgang, der den Saal mit einem Nebenraum verband, in dem das Büfett angerichtet war, wobei die handlichen Leckerbissen vom Servierpersonal auf geschliffene Glasplatten aufgelegt und im Hauptraum serviert wurden, sodaß

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