Der Umfang der Hoelle
affichierten Werbeplakate öffnete. Darauf war, gegen die linke Seite gerückt, Claire Rubin in Überlebensgröße abgebildet. Sie trug etwas sehr Rotes, das vor dem schwarzen Hintergrund die Wirkung einer Verkehrsampel besaß.
Mit Bleistiftabsätzen, die man zur Not als Injektionsnadeln hätte verwenden können, stand sie auf einem Stapel von Büchern, einem Dutzend etwa, deren blendendweiße Rücken dem Betrachter zugewandt waren und allesamt den besagten Titel trugen. Ein Titel, der wuchtig und in einer Art Flammenschrift die rechte Bildhälfte schmückte. Auch wenn dieser Bücherstapel sich natürlich kaum eignete, um mit fragilem Schuhwerk darauf zu balancieren, machte Rubin den Eindruck großer Sicherheit, als sei das ein Hobby von ihr: auf Büchern herumstehen.
Es sah aus, als throne eine Göttin auf der von ihr geschaffenen Welt. Und genau dies war ja wohl die Intention des Verlages, hier nichts weniger als eine Göttin vorzuzeigen, die ein wenig lächelte, den Kopf gerade, während der Körper leicht schräg gestellt war (damit die Absätze zu sehen waren), die Schultern erhöht, die Arme leicht angewinkelt und die Handflächen nach oben gekehrt, wie jemand, der etwas in Empfang nimmt. Ein Spötter hätte meinen können, das Geld zukünftiger Leser. Romantischer aber war es, zu denken, daß Claire Rubin gar nichts annahm, sondern vielmehr soeben etwas aus ihren Händen entlassen hatte: Singvögel, Goldfische, vielleicht auch pure Energie, um die Buchstaben des Titels in Brand zu setzen. Die Gebärde jedenfalls blieb unklar, sollte sie wahrscheinlich auch.
Die Gäste applaudierten. Es war ein begeistertes Geklatsche, wobei die anwesenden Damen nicht ganz die unbändige Verzückung der Männer erreichten. Man sah einigen dieser Frauen an, daß sie ihren Beifall unter Schmerzen zollten. Und daß ihnen nichts lieber gewesen wäre, als wenn die wirkliche Claire Rubin, die ohne jede Demutsgeste unter ihrem Abbild stand und den Applaus mit einem halben Lächeln entgegennahm, wenn diese Frau also ganz einfach explodiert wäre. Nachdem sie schon das unverschämte Glück gehabt hatte, so völlig unlädiert aus der Auseinandersetzung mit ihrem Neffen Fred Semper hervorzugehen. Ja, bestand nicht eine unglaubliche Arroganz darin, daß diese Frau, keine Woche, nachdem sie ein Familienmitglied erstochen hatte, sich hier feiern ließ? Daß sie nicht mit der geringsten Geste oder Bemerkung kundtat, wie schrecklich es sei, – wenn auch aus berechtigter Notwehr – einen Menschen getötet zu haben?
Es gab hier natürlich auch Damen, eher die jüngeren, deren Gesichter eine unumwundene Begeisterung verrieten und die das Erstechen von Familienmitgliedern für ein geringes Problem hielten. Wenn schon die Polizei nichts daran fand, so wenig wie die Presse, warum sollten sie es dann tun? Diese jüngeren Frauen sahen in Claire Rubin ein Vorbild, so wie ja auch Eva Rösner alias Kim Turinsky in ihr ein Vorbild gesehen hatte. Trotz allem. Claire Rubin verkörperte den Typus der Unerschütterlichkeit. Selbst dieser Applaus ließ sie nicht wanken, veranlaßte sie in keiner Weise, sich lächerlich zu machen, indem sie etwa eine Bescheidenheit vorspiegelte, wie dies ja gerade von den völlig unbescheidenen Menschen immer wieder praktiziert wird. Sie unternahm es bloß, mit einer knappen Geste der Ovation Einhalt zu gebieten und in die nun eintretende Stille hinein ihren Verleger aufzufordern, endlich von dem wertvollen Schemel herunterzusteigen.
»Schade«, sagte der Mann, grinste, breitete seine Arme aus und ließ sich herabhelfen. Nicht, daß der Boden gebebt hätte. Das nicht. Eher war es so, als würde tief in der Erde ein feiner Riß sich bilden. Ein Riß durch die Hölle, die natürlich voll von Rissen ist und der somit ein noch so schwerer Verleger nicht wirklich etwas anhaben kann.
Claire Rubin erhob nun ihre Stimme, ohne wirklich laut zu werden, und erklärte, wieviel Mühe ihr die Arbeit an diesem Buch bereitet habe. Es sei eine Plage, wenn auch eine nicht ganz lustlose, sich zu steigern, ein besseres Buch zu schreiben, als es die vorhergehenden gewesen seien. Denn allein darin bestünde die sinnvolle Arbeit eines Schriftstellers, die Qualität zu erhöhen, die Genauigkeit zu forcieren, die Tiefgründigkeit und den Witz, ganz im Gegensatz zum Schriftsteller selbst, der im Einklang mit allen anderen erwachsenen Menschen älter und häßlicher und blöder werde, dessen schriftstellerische Produktion sich also im Idealfall
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