Der Umweg nach Santiago
die in die Domäne der Melancholie fällt. Aber gerade, als ich mich dem sentimental hingeben will, geschieht etwas Seltsames. Ein Fernsehteam, das hier filmen will und dafür den ruhigen Montagnachmittag benutzt, taucht den Raum, in dem sie und ich uns befinden, in eine Flut von Licht, das es zu ihrer Zeit noch nicht gab. Zauberei! Bevor ich weggeschickt werde (dieses Tête-à-Tête kehrt nie mehr wieder), sehe ich für einen Moment das volle Ausmaß der Täuschung, die manchas distantes , ferne Flecken, von denen Quevedo sprach und die für so viele Kunsthistoriker die Vorboten des Impressionismus sind, so als hätte der Hofmarschall und Königsfreund im niedergehenden, dürren Spanien des siebzehnten Jahrhunderts wie ein Rattenfänger die Manets und Cézannes in das Reich der Farbe und des Augenblicks gelockt, was vielleicht zutrifft. Beim plötzlichen Auf blitzen von Licht des zwanzigsten Jahrhunderts verliert sie nichts von der Pose, die ihre Position ausmacht. Das verschwenderische Rotbeginnt heftiger zu glühen, das schon, doch gleichzeitig verstärkt sich das kalte Feuer in ihren Augen, nein, die Intensivierung ist allgemein, erstreckt sich auf ihr ganzes Wesen. Das Rot ihrer Wangen, diese merkwürdig aufgesetzten runden Flecke, wiederholt sich in den roten Schleifen des Haarschirms, aber dann sehe ich auch, daß es nur Pinselstriche sind, daß das seidene Funkeln in diesem Rot aus Tupfern besteht, daß ich getäuscht wurde, obwohl ich es wußte, und doch wieder getäuscht werde, und daß diese Unmittelbarkeit, diese Bereitwilligkeit, die Hand von der Stuhllehne zu nehmen (auf die nur eine Person königlichen Rangs sie legen durfte, wie auch nur Hofdiener eines bestimmten hohen Ranges die Hände der Königskinder berühren durften), ausschließlich aus Farbe besteht. Ausschließlich? Natürlich nicht. Es ist der Gedanke des Malers, der in Materie, Farbe ausgedrückt ist. Jeder weiß das, und dennoch. Unter dem Eindruck des grellen Lichts und aufgrund meiner ungebührlichen Nähe zerfällt die Frau in tausend Stücke, erst als ich rückwärts gehe, fließt sie wieder zusammen zu der Vorstellung des Malers. Nun ist sie wieder ideell geworden, und die ganze Geschichte von Schein und Sein kann von vorn beginnen. Ein Jahrhundert später sollte Anton Raphael Mengs über Velázquez sagen: »Er malte die Wirklichkeit nicht wie sie ist, sondern wie sie zu sein scheint.«
Wahrheit, Wirklichkeit, Lüge, Schein, die Sache selbst oder ihr Name, es sind Irrlichter, die die verwirrenden Tangos zwischen diesen Begriffen in den Ballsaal der Postmoderne oder der Metafiktion verbannen wollen, um sie dann los zu sein, wie eine Hornisse, auf die man einschlägt, weil man Angst vor ihr hat oder weil sie einen belästigt. Aber diese Hornisse war immer schon da, seit Platons Kritik am absichtlichen Schein in der Bildhauerei bis zum scholastischen Eiertanz um Realismus und Nominalismus und weiter bis zu Berkeley und dem abgekarteten Spiel, das Borges mit alledem spielt. Diese Hornisse schwirrt aber auch unsichtbar über der Spiegelfechterei eines van Eyck ( Die Hochzeit des Arnolfini ) und Velázquez herum ( Las Meninas ), der damit wiederum Foucault verwirrt, aber das kommt erst später. In demBildnis Königin Maria Annas ist es zunächst nur die Täuschung der Methode oder die Methode der Täuschung, die mich beschäftigt, noch nicht die metaphysische List, mit der der Maler uns bei Las Meninas in einem Spiegel über den Abgrund hält.
Gombrich zufolge ( Kunst und Illusion ) soll Rembrandt gesagt haben: »Stecke deine Nase nicht zu tief in meine Bilder, sonst vergiftest du dich mit dem Geruch der Farbe.« Was er meinte, ist, daß dies in seinem Fall (wie auch bei Velázquez) buchstäblich Licht auf den ganzen Schwindel werfen würde: aufhellende Bahnen, Striche, touches , die die Illusion von Licht und Bewegung und dadurch von Wirklichkeitstreue erzeugen sollen. Platon hielt nichts von solchen Methoden: So wurde nicht die Sache selbst geschaffen, sondern eine Fälschung. Deshalb war er auch gegen Bildhauer, die die Proportionen ihrer Plastiken so verformten, daß sie in einem Tempel oder aus großer Entfernung betrachtet natürlich aussehen sollten, echt. Velázquez ging noch einen Schritt weiter. Er täuschte die Täuschung und arbeitete mit solch langen Pinseln, daß die Distanz bereits eingebaut war. Das ist der stroboskopische Effekt des sich drehenden Spinnrads in Las Hilanderas (es dreht sich wirklich), das sind auch die
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